Agile, amtsübergreifende Kommunikationskulturen

Was Agilität, Kommunikation und Fahrräder miteinander zu tun haben.

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Vor einiger Zeit habe ich eine Kommune durch eine Führungskräfteklausur begleitet. Das übergreifende Thema war Kommunikation. Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern, Kommunikation mit externen Dienstleistern, Kommunikation untereinander, Kommunikation mit den MitarbeiterInnen. Der Schwerpunkt lag am Ende auf der Gestaltung von Meetings. Wie man sie besser organisiert, wie das Team die Ergebnisse besser festhält und vor allem nachhaltig umsetzt. Hier konnte ich ihnen einiges an die Hand geben, wie sie am besten ein Meeting organisieren, angefangen mit der Frage, ob ein Meeting überhaupt das richtige Kommunikationsformat ist für das, was sie besprechen wollen.

Aber die Auseinandersetzung mit der Meetingkultur war an sich weniger interessant an diesen beiden Tagen. Interessant war die Diskussion über … Fahrräder!

Und zwar ist die Gemeinde folgendermaßen aufgeteilt: Einige zentrale Dienste (Verwaltungsstab, Hoch – und Tiefbau, Zentrale Dienste) sitzen alle im Rathaus. Hier sind die Kommunikationswege kürzer, einiges wird zwischen Tür und Angel geklärt, der „kleine Dienstweg“ wird öfters gewählt. Die anderen Dienste sind verteilt über die ganze Gemeinde. Diese sind vor allem die Kitas und die Horte, das Jugendhaus aber auch andere soziale Dienste und die Bibliothek.

Als es um die interne Kommunikation ging, wurde folgendes Beispiel erläutert:
Kurz vor Lockdown wurde festgestellt, dass die Fahrräder der Führungskräfte und die Mitarbeiterinnen in der Kita, die immer an einer bestimmten Stelle abgestellt wurden, ein Brandrisiko darstellten. Im Rathaus wurde zwischen dem Verwaltungsleiter und dem Brandschutzbeauftragten kurz abgesprochen, dass sie von der Tür wegmussten. Im Laufe des Tages wurden sie an eine andere Stelle hingebracht, die etwas schlechter zugänglich war als die ursprüngliche Stelle. Als die betroffenen Mitarbeiterinnen am Nachmittag aus der Betreuung kamen, fanden sie keine Fahrräder mehr vor. Das fanden sie nicht so toll, und beschwerten sich beim Verwaltungsleiter. Er erklärte, dass die Fahrräder eine Brandschutzgefahr darstellten, also mussten sie weg. Der Brandschutzbeauftragte kam dazu und bestärkte die Argumente vom Verwaltungsleiter. Der Verwaltungsleiter konnte nicht verstehen, warum die Mitarbeiterinnen den Brandschutz anscheinend in Frage stellten. Die Mitarbeiterinnen konnten nicht verstehen, warum sie nicht in den Entscheidungsprozess mit eingebunden waren.

Als ich dazu kam, waren sie zwar nicht mehr wütend aufeinander, aber unter der Oberfläche brodelte es.

Im Grunde genommen ging die Situation um eine fehlende Kommunikation. Und zwar an der Stelle, an der das Problem erkannt wurde, aber bevor die gefundene Lösung eingeleitet wurde. Eine Mitteilung, oder noch besser, die Einbindung der betroffenen Mitarbeiterinnen in die Lösungsfindung – und auch wenn es genau so ausgegangen wäre, wie es ausging – wäre von Vorteil. Aber die Komplexität ging tiefer. Die räumliche Trennung der Entscheidungswege wurde von einer geschlechtsspezifischen Zuordnung der unterschiedlichen Berufe untermauert. Im Rathaus, wo die eher technischen Ämter angesiedelt waren, arbeiteten überwiegend Männer. Alle drei Amtsleiter, sowie der Oberbürgermeister, waren Männer. Tür-und-Angel-Gespräche, der kurze Dienstweg und schnelle Absprachen waren hier an der Tagesordnung. In den dezentralen Ämtern arbeiten überwiegend Frauen und fast alle Führungskräfte sind hier Frauen. Untereinander tauschten sie sich oft aus, verabredeten sich zum Mittagessen, klärten vieles durch informelle Zweiergespräche.

Solange Schwierigkeiten in den jeweiligen Zuständigkeiten auftauchten, oder solange Probleme nur in einer der zwei „Sphären“ auftauchen, konnten sie relativ schnell und für alle zufriedenstellend geöst werden.

Bei übergreifenden Problemen kamen oft Reibereien hoch. Diese wurde auf ihre Meetingkultur geschoben.

Diese Konstellation ist sehr gut geeignet, um zu überlegen, welche unterschwellige Kommunikationskulturen in amtsübergreifenden Projekten zusammenkommen. Ich habe hier als Unterscheidungspunkt die Geschlechter erwähnt, genauso gut könnte ich aber auf die Sozialisierungsprozesse in sozialen Berufen im Vergleich zu technischen Berufen eingehen. Oder die Kommunikationskulturen, die in abgeschlossenen Gebäuden wie Rathäusern entstehen im Vergleich zu Diensten, die dezentral verteilt sind. Das Eintauchen in die agile Welt fordert und fördert oft cross-sektionale Arbeitsgruppen. Interdisziplinarität, Matrixstrukturen, Querschnittsthemen. Diese bringen Menschen an einen Tisch zusammen, die in der Regel in unterschiedlichen Kommunikationskulturen sozialisiert worden sind. Ein Blick darauf, bevor man mit der Arbeit beginnt, kann in der weiteren Gestaltung vieles erleichtern.

Autor: lilaasax

Lila Sax dos Santos Gomes ist freiberufliche Beraterin für mehr Gleichberechtigung in Verwaltungen und Unternehmen und CEO von Yarrow Global Consulting gGmbH.

2 Kommentare zu „Agile, amtsübergreifende Kommunikationskulturen“

  1. Danke Wolf! Ich fand es fantastisch, wie anhand dieses alltäglichen Beispiels die Komplexität der Kommunikation gezeigt werden konnte

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  2. Liebe Lila,
    das ist ein wundervoller Bericht! Ganz plastisch am konkreten Beispiel der Fahrräder, wie Verwaltungskulturen vielfach ticken.
    Das wiegt viele theoretische Abhandlungen über Silokulturen und patriarchale Hierarchien auf.
    Danke.

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