Von Corinna Höffner, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „AgilKom“ & Prof. Dr. Anja Seng, stellv. Projektleitung
Vor dem Hintergrund einer sich dynamisch verändernden Umwelt mit volatilen Rahmenbedingungen ist auch die öffentliche Verwaltung zunehmend gefordert, etablierte Arbeitsweisen auf den Prüfstand zu stellen. Agilität kann hierfür Lösungsmöglichkeiten bereithalten.
Im INQA Experimentierraum „AgilKom“ werden agile Arbeitsformen in der öffentlichen Verwaltung erprobt, und die bisherigen Erkenntnisse wurden in der Session „Führung in der agilen Verwaltung“ im Rahmen der Frühjahrskonferenz des FAV 2021 geteilt. Gemeinsam wurde mit den ca. 50 Teilnehmenden (öffentlicher) Verwaltungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene diskutiert, wie Führung erlebt wird und welche Erwartungen an Führung und Führungskräften in einer agilen Arbeitsumgebung bestehen.
Zusammengetragen wurden die Ergebnisse nicht nur auf einem digitalen Whiteboard, sondern von einer Teilnehmerin auch als Sketchnote (s. Abb. 1).

Im Projekt AgilKom hat sich gezeigt, dass bestimmte Rahmenbedingungen agile Arbeits- und Organisationsweisen begünstigen (s. Abb. 2).

1. Identifikation agiler Handlungsfelder
Beim agilen Arbeiten geht es darum, die Handlungsfelder zu identifizieren, die auch tatsächlich eine agile Bearbeitung und Umsetzung erfordern. Um herauszufinden, welche konkreten Aufgaben und Projekte das sind, können Modelle wie z.B. die Stacey-Matrix (2011) und ihre Erweiterung von Stock-Homburg & Groß (2019) (s. Abb. 3). Aufschluss geben. Dabei gilt: Nicht alles ist (ausschließlich) agil zu bearbeiten, jedoch sind agile Arbeitsweisen insbesondere bei neuen, weniger strukturierten Aufgabenstellungen hilfreich. „Alles kann – nix muss!“

2. Einführung agiler Werte, Prinzipien & Methoden
Auch bedeutet Agilität mehr als nur die Kenntnis und Anwendung von Methoden und Tools. Beim agilen Arbeiten spielen vor allem agile Werte und Prinzipien eine bedeutende Rolle, die in Gesamtheit das „agile Mindset“ bilden. Mindset und Praktiken bedingen sich gegenseitig, ermöglichen ein agiles Denken („being“) und agiles Handeln („doing“) und sollten daher zu gleichen Teilen Beachtung finden (s. Abb. 4).

3. Anwendungsmöglichkeiten agiler Arbeitsweisen
Eine weitere Voraussetzung für agile Arbeitsweisen in der (öffentlichen) Verwaltung sind – neben der Identifitkation agiler Handlungsfelder und der Einführung agiler Werte, Prinzipien und Methoden – konkrete Anwendungsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden. Dazu ist es erforderlich, die notwendigen Handlungsspielräume für das selbstorganisierte, bereichsübergreifende Arbeiten zu geben. Hilfreich ist dabei z. B. die Formulierung und Einführung einer so genannten „Experimentierklausel“, die bspw. im Rahmen einer Dienstvereinbarung – bezogen auf ein bestimmtes Projekt und einen befristeten Zeitraum – Ausnahmen zu bestehenden Regelungen und Vorschriften im Kontext Arbeitszeit und -ort festhält. Dies ermöglicht den Beschäftigten einen erweiterten Handlungsspielraum, um agile Arbeitsweisen im eigenen Arbeitsbereich in experimenteller Form zu erproben.
4. Räumlichkeiten & Ressourcen
Auch müssen den Mitarbeitenden die notwendigen (physischen) Räume und Ressourcen zur Verfügung stehen, die das bereichsübergreifende Arbeiten in agilen Teams ermöglichen. Es zeigt sich, dass sogenannte Innovationlabore – also physische Experimentierräume – das agile Arbeiten fördern, die zum Tüfteln, Ausprobieren, Überprüfen und Verändern anregen und genutzt werden können (s. Abb. 5 + 6).


5. Führungsstil & Führungskultur
Mit der Autonomie der Mitarbeitenden rücken auch die Themen Führung und Führungskultur in den Fokus. Mitarbeitende müssen da, wo es notwendig und möglich ist, mehr Freiräume zur Selbstorganisation erhalten – gerade in der Weberschen Bürokratie ein zu adressierender Aspekt. Dies sollte sich auch im Stil der Führungskräfte widerspiegeln (Stichwort: transformationale Führung).
Dass die zunehmend agile Umgebung der öffentlichen Verwaltung zu einem veränderten Verständnis von Führung und Führungskultur führt bzw. führen kann, spiegeln auch die Teilnehmenden der Session. Sie erleben Führung in Abhängigkeit der Führungsebene ganz unterschiedlich (s. Abb. 7).

“Neugierig”, aber auch “skeptisch” und “Widerstand” sind hier Begriffe, die häufiger im Kontext der nächsthöheren Ebenen fallen. Es wird “ein Beleg für Wirksamkeit” gefordert. In Bezug auf die Verwaltungsleitung wird die Distanz zu agilem Arbeiten deutlich größer gesehen. Die Teilnehmenden nehmen wenig Interesse und Bereitschaft wahr, Veränderungen in den Arbeitsweisen zuzulassen – es wird von “old school” oder “kein Verständnis” gesprochen. Auch in Bezug auf die politische Ebene werden Fragezeichen gesetzt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aus der Sicht der Beteiligten deutlicher Handlungsbedarf im Kontext der Haltung festzumachen ist.
Diese Meinung spiegelt sich deutlich an den artikulierten Erwartungen und Anforderungen an die Führungskräfte auf unterschiedlicher Ebene (s. Abb. 8).

“Zeit”, “Loslassen” und “Vertrauen” sind wesentliche Erwartungen und Anforderungen, die an die verschiedenen Führungsebenen gestellt werden. Auch ein Vorbildverhalten der Führungskräfte wird erwartet; also eine Bereitschaft, gemeinsam Arbeitsweisen kritisch zu hinterfragen und neue Wege zuzulassen. Eine veränderte “Fehlerkultur” wird gefordert, aber auch eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit neuen Ansätzen, die über das Mitmachen von Modebewegungen hinausgeht.
„Führung ist ein Schlüsselfaktor für die Organisationskultur ebenso wie für die Performance. Danke für den Denkanstoß, dass auch die Politik eingebunden werden muss, um einen nachhaltigen Rahmen für eine agile Verwaltung zu erschaffen! Das ist eine Besonderheit der öffentlichen Verwaltung, die wir aktiv einbeziehen sollten.“ (Birgit Schiche, Leadership Coach und Teilnehmerin der Frühjahrskonferenz des Forum Agile Verwaltung 2021).
Wir danken allen Teilnehmenden für eine spannende und kurzweilige Diskussion. Die Ergebnisse der Session fließen in die Entwicklung einer Handlungshilfe für agiles Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung ein, die am Ende des Projekts AgilKom kostenfrei zum Download zur Verfügung stehen wird.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Website des ifpm Institut für Public Management der FOM Hochschule und auf den Seiten der Initiative Neue Qualität der Arbeit.

Das Projekt AgilKom wird im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert und von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fachlich begleitet.
Quellen
Stacey, R. D. (2011): Strategic Management and Organizational Dynamics: The challenge of Complexity to Ways of Thinking about Organisations. 6. Auflage. London: Pearson Education.
Stock-Homburg, R. & Groß, M. (2019): Personalmanagement. Theorien – Konzepte – Instrumente. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer.