Ko-Autorin: Heike Eckert
Agiles Arbeiten und Verwaltung sind durchaus seit einigen Jahren keine Gegensätze mehr. Viele kommunale Einrichtungen, Bundes- und Landesbehörden haben sich der Thematik geöffnet und sich auf den Weg gemacht. Mitgenommen haben sie dabei in erster Linie eine Menge Ausrüstung in Form von Methoden und Tools wie Scrum, Kanban u. ä. sowie Orientierungshilfen wie crossfunktional die Wege zum Ziel zu beschreiten bzw. sich iterativ in der Ziel(=Lösungs)findung zu verbessern.
Und trotzdem scheint der Weg noch weit und der „Flug“ beschwerlich. Weshalb?
Unsere Flügel wurden durch die vorgegebenen Flugleitplanken der Verwaltungsbürokratie der letzten Jahrzehnte nicht adäquat gefordert und sind bei vielen verkümmert. Plötzlich hinauszuschauen zu „den anderen“, gar gemeinsam mit ihnen ein Stück des Weges zu gehen, muss neu gelernt werden.
Dazu bedarf es zweier wesentlicher Grundhaltungen bei jedem/ jeder Einzelnen und bei Führungskräften im Besonderen, welche sich letztlich in der Verwaltungskultur manifestieren (müssen und werden).
„Wir packen an.“
Zum einen geht es darum, den „Flügel des Anpackens“ wieder voll auszubilden und zu stärken. „Anpacken“ heißt hier …
- … nicht zuerst danach zu fragen: „Bin ich zuständig.“, sondern sich proaktiv auch mal Aufgaben zu nehmen, die einfach gerade zu tun sind.
- … nicht zu warten, bis der „perfekte Plan“ steht, sondern mit dem Mut, Neues zu wagen und einfach mal tun – „einfach mal den ersten Flug wagen“.
- … keine Angst vor Misserfolgen zu haben, sondern diesen selbstbewusst entgegen zu sehen und sie als Lernchance zu begreifen, um ein jedes weitere Mal besser fliegen zu können.
Allein diese Haltung ist eine wahre Kulturrevolution im Denken und in der Haltung vieler Verwaltungsmitarbeiter*innen. Und es ist gleichermaßen eine Herausforderung für Führungskräfte. Denn sie müssen Entscheidungen konsequent an ihre Mitarbeitenden delegieren, damit diese sich das Anpacken auch (zu)trauen.
Bezüglich einer Haltung des Anpackens tut sich in den letzten zwei, drei Jahren sehr viel in unseren Kommunal- und Hochschulverwaltungen, auf Bundesebene und (etwas zögerlicher) auch in den Ländern.
Doch mit nur einem stärker werdenden Flügel fliegt es sich schlecht. Wir kommen ins Trudeln, verlieren die Richtung und können die mühsam aufgepackte Ausrüstung nicht gut tragen und nutzen.
Deshalb braucht es eine zweite wesentliche Grundhaltung.

„Wir beziehen ein.“
Auch hierbei handelt es sich um eine kulturprägende Haltung, die mit tief verwurzelten Gewohnheiten bricht. Verwaltungsmitarbeiter:innen sind gewohnt, für die Bürger:innen, Unternehmen, Schüler:innen, Dozent:innen, Studierende und für viele andere Gruppen sowie letztlich für die Zivilgesellschaft insgesamt zu handeln. Das bedeutet im Verständnis ein bisschen „von oben herab“ und eher reaktiv als Dienstleister. Verinnerlicht ist per Definition „administrieren“ und „executieren“. Hingegen das eigene Verwaltungshandeln proaktiv und gestaltend auszurichten – gemeinsam mit den Bürger*innen, Unternehmen etc. – war bisher nicht oder kaum gefragt. Und doch ist es die zweite zentrale Grundhaltung, die uns – im wahrsten Sinne des Wortes – fliegen lässt. Nur Miteinander und im Dialog werden wir für beide Seiten zufriedenstellende Lösungen entwickeln.
Wohingegen der Flügel des Anpackens schon gut gestärkt wurde, bedarf es beim Flügel des Einbeziehens noch großer Anstrengungen.
Ein Beispiel hierfür sind die aktuellen Pandemie-Erfahrungen. Was das „Anpacken“ angeht, haben insbesondere die Bundesbehörden ziemlich effizient gehandelt. In der Öffentlichkeit gab es zwar viel Kritik; wenn man aber bedenkt, wie neu die Situation und die logistischen Herausforderungen waren (Masken und Schutzkleidung beschaffen, Teststrategien entwickeln, dann Impfzentren organisieren), können sich die Ergebnisse sehen lassen.
Aber auf der Seite des „Einbeziehens“ gab es offensichtliche Mängel. Dänemark und Spanien waren zwei Beispiele, die bei der Organisation des Impfens einfach nur den gesunden Menschenverstand gebraucht haben. In Spanien wurde jede:r Bürger:in der gerade aktuellen Alterstranche im Impfprozess angerufen und erhielt einen Impftermin zugeteilt. Niemand musste stunden- bzw. teilweise tagelang immer wieder am Telefon versuchen durchzukommen oder nächtelang warten, bis der Server im Internet wieder ansprechbar war. Entsprechend schnell stieg die Impfquote in diesen Ländern.
In Deutschland herrscht immer noch das gedankliche Paradigma vor, dass der:die Bürger:in zur Verwaltung kommt und einen Antrag stellt. Und diese Vorstellung – übergegangen in entsprechende Gewohnheiten und letztlich in eine Grundhaltung – ist so handlungsleitend, dass das Nächstliegende gleichzeitig der Verwaltung am Fernsten ist.
Abstrahiert vom Beispiel – Weshalb ist das „Einbeziehen“ bzw. „aufeinander Zugehen“ so wichtig?
Zum einen erhalten wir nur über den Weg des Aufeinander Zugehens, des Einbeziehens und im Dialog mit den Empfänger:innen unserer Verwaltungsdienstleistungen Kenntnis zu den wirklichen Bedarfen, Erwartungen und Anforderungen dieser. Zum anderen ist dies der aus unserer Sicht effektivste und effizientestes Weg, sachgerechtes und authentisches Feedback zu unseren Verwaltungsdienstleistungen zu bekommen. Einbeziehen schafft insofern eine Art „Resonanzkultur“.
Es braucht zwei gestärkte Flügel.
Wenn wir die anstehenden, gigantischen Zukunftsaufgaben erfolgreich bewältigen wollen, bedarf es nicht nur einer technischen Agenda, sondern auch und vor allem einer gesellschaftlichen, die als TOP fokussiert: „Wie kann die Verwaltung die Bürger:innen nicht nur „bedienen“, sondern sie einbeziehen?
Das oben angeführte Beispiel ist nur eines von Dutzenden. Wenn mit dieser Haltung jedoch die noch viel größere Herausforderung des Klimawandels angegangen werden sollte, haben wir jetzt schon verloren. Denn die Haltung des Anpackens ist erst einmal technisch. Sie nimmt sich des planerischen Problems an: „Wie können wir x km Stromtrasse in y Monaten von Nord nach Süd bauen?“ Diesbezüglich nehmen wir Fahrt auf. Aber viel größer ist die Frage: Wie gelingt es uns, den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel zu orchestrieren? Viele Millionen Bürger:innen müssen ihr Leben grundlegend umstellen; ihr Mobilitätsverhalten, ihren Wohnraum, eventuell neue berufliche Perspektiven suchen, anders Urlaub machen und vieles mehr. Für diese sozialen Aufgaben reicht das Anpacken nicht aus. Sondern Mitnehmen durch Einbeziehen ist gefragt mit dem Ziel der Motivation und des Empowerments. Denn erfolgreich werden wir auf dem Weg zur Klimaneutralität nur sein, wenn dies auch zum eigenen Anliegen der Bürger:innen wird. Und nur so werden sich letztlich auch die mit dem Anpacken verbundenen milliardenschweren staatlichen Investitionen lohnen. Mit der Digitalisierung verhält es sich ähnlich – insbesondere unter Beachtung der demografischen Herausforderungen. Denn ein hoher Anteil älterer Menschen in ihrem ganz normalen Lebensalltag und als Partner der öffentlichen Verwaltungen ist mitzunehmen bei der digitalen Transformation.
Die mit beiden Flügeln zu erzielende Schlagkraft trägt nicht nur zur Ausprägung eines zukunftsfähigen und agilen Verwaltungshandelns im engeren Sinne bei, sondern hat mit der Einbeziehung der Empfängergruppen noch einen weitaus größeren, nämlich gesellschaftlichen Effekt. Denn Verwaltungsdienstleistungen reichen in alle Lebenslagen der Zivilgesellschaft hinein. Welch besseren Hebel gibt es, als durch unmittelbare und konsequente Einbeziehung der jeweiligen Empfängergruppen die aktuell entstehenden gesellschaftlichen Verwerfungen zu überwinden und das Vertrauen in Politik und letztlich auch in die Verwaltung wieder herzustellen?
Insofern weiter mit dem Anpacken, aber wesentlich mehr als bisher im Bewusstsein einer notwendigen Resonanzkultur durch ein Aufeinander-Zugehen und Einbeziehen.
Absolut richtig! Und wenn beide Flügel gestärkt sind, dann geht es auch um die „happy Landings“, bei denen zeitnah ein Projekt und sei es noch so klein zur Landung gebracht werden kann!
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