„Agile Fenster“ – Planung und agile Handlungsoptionen

Agil sein —–  oder Planen? Ein Widerspruch? Regelmässig bin ich mit dem Thema „agile Handlungsoptionen“ in verschiedenen Unternehmen und Organisationen unterwegs. Speziell auf der Stufe mittleres und oberes Kader entwickeln sich häufig Diskussionen zum Thema Planung. Es ist einerseits oft Mit-Auslöser dafür, dass Leute wie ich gerufen werden, um über agile Methoden zu sprechen. Weil die Erfahrung vielfach so ist, dass etablierte Planungsmuster derzeit nur bedingt funktionieren. Es besteht eine gewisse Unsicherheit darüber, wie man mit einer sich verändernden Wetterlage umgehen soll, in der die Planungsprozesse immer weniger genau zu greifen scheinen. Was immer wieder zu Schwierigkeiten führt ist, dass wir uns nur schwer Alternativen zu klassischen Planungsvorgängen vorstellen können. Nicht einem angefertigten Plan zu folgen, löst Unsicherheitsgefühle aus.

Einen Plan zu machen hat viele Vorteile.

Es erlaubt,

  • sich im Vorfeld Gedanken zu machen,
  • eine Auswahl von Handlungsoptionen und Handlungschritten zu treffen
  • Daten zu sammeln
  • vorbereitet zu sein.

Es hilft dabei, zu fokussieren, was genau aus aktuellem Wissensstand am besten funktionieren könnte und das erklärte Ziel zu erreichen. Mit anderen Worten: den Plan zu erfüllen und so sichtbar erfolgreich Ergebnisse vorweisen zu können. Den erfüllten Plan zum Beispiel…

Wie so vieles hat aber ein Plan neben Vorteilen auch Nachteile. Zum Beispiel, dass durch die Fokussierung eine gewisse Offenheit und Flexibilität verloren gehen:
wenn ich mich auf einen Plan fixiere und diesen verfolge, um mein Ziel zu erreichen, dann bin ich festgelegt oder zumindest vorgespurt auf dem Weg zur Erfüllung.

Zur Illustration

Besuch in einer neuen Stadt. [AdR.: dieser Text wurde während eines ausgedehnten Spaziergangs in einem der Autorin bis dato unbekannten Bezirke Wiens in die Sprachmemofunktion des Telefons gesprochen… ].
Ich kann nach vorheriger Recherche und nach Aussagen von Vertrauenspersonen eine Auswahl von sagen wir sechs besonders wichtigen Plätzen und Sehenswürdigkeiten treffen und dann meine Entdeckung der Stadt so auslegen, dass ich diese Attraktionen und vorher festgelegten Punkte besuche. Der Vorteil dieser Planung meines Stadtbesuchs ist, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit diese fünf oder sechs Attraktionen zu sehen bekomme und voraussichtlich nicht enttäuscht werde – ich habe ja vorher wissende, mir nahestehende Personen und Stadtführer befragt und gut geplant. Andererseits besteht die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf dem Weg zu diesen fünf oder sechs Attraktionen eine große Anzahl von anderen spannenden Orten und Erlebnissen übersehe, weil ich fokussiert bin auf das Erreichen meiner vorgeplanten Sehenswürdigkeiten.

Die Wege dazwischen sind nur untergeordnetes Mittel zum Zweck.

Das schöne Café, das links des Weges liegt. image
Den Park, in dem eine spannende Diskussion sich entwickelt, die mich sicher interessieren würde, wenn ich um sie wüsste.
Die Beiz (im vorlegenden Beispiel das Beisl), in der lokale Küche um kleines Geld, aber so fein und original, serviert wird und in der lokaler Zungenschlag gesprochen wird.
Das Viertel mit den Fassaden, die genau meinem Geschmack entsprechen und die ich so noch nie gesehen habe.
Den Hinterhof mit den vielen guten Gestaltungsideen.
All die werde ich neben meinem Plan wahrscheinlich nicht wahrnehmen.
Oder, wenn doch, werde ich wohl keine Zeit für sie haben – ich hab ja noch was vor…

Wenn ich andererseits ohne festen Plan daran gehe, mein Ziel zu erreichen, das Ziel nämlich, diese neue Stadt zu entdecken, dann nehme ich viele der oben beschriebenen Orte und Begegnungen mit. Ich verpasse aber eventuell auch einige der bekannten Attraktionen. UND ich kann mir nicht so sicher sein, dass ich nur Dinge entdecke, die spannend sind und für mich sehenswert. Ziemlich sicher ist es zwischendurch auch einmal hässlich oder langweilig, das heisst für eine Städtereise in diesem Moment eher unerfolgreich. Damit muss ich umgehen können – es gibt keine Idealline.

Und wenn der Plan kein PLAN ist…? Sondern? 

Unser überkommener Planungsbegriff ist ein recht enger. Spannend ist es zum Beispiel, wenn man sich das Wortfeld ‚Planung‘ einmal ansieht. Da gibt es  viele verwandte, aber nicht identische Begriffe wie zum Beispiel

  • Diagnostik,
  • Analyse,
  • prognostische Vorausschau,
  • Vorstellungskraft,
  • … .

Vielleicht könnte anstelle des „wir verfolgen einen Plan“ ein „wir überlegen“, „wir analysieren den jeweils aktuellen Stand des Wissens“, „wir sehen vorher“, „wir halten als Annahme fest“ und/oder „wir feilen während unserer Arbeit kontinuierlich an unserem Plan“ treten. Auch das Arbeiten mit Szenarien – oder Szenariobasierter Planung  – und Varianten gehört dazu. Und mit einer Prognose arbeitet ein Team eventuell offener und näher an den aktuell gegebenen Möglichkeiten als mit einem Plan.

Agile Fenster

aufnahme23Eine besonders attraktive Ergänzung zum Begriff Planung ist ‚Gelegenheitsnutzung‘. Im Englischen nennt man das ein ‚Window of Opportunity‘, ein Gelegenheitsfenster. Das Fensterprinzip besagt, dass man offenen Blickes erkennt, falls und wenn sich eine unerwartete Möglichkeit, eine besonders günstige Rahmenbedingung oder eine neue Ressource unterwegs auftut. Und sich grundsätzlich in die Lage versetzt, diese Chance dann in diesem Moment für den Weg zum angestrebten Ziel oder Ergebnis aktiv zu nutzen, falls oder wenn sie sich bietet. Das heisst, mit neuen Chancen und damit Veränderungen des Plans von vorne herein zu rechnen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Nutzung unterstützen anstatt sie zugunsten des ursprünglichen Planes zu verhindern oder zu bremsen.

Bei agilen Optionen geht es nicht darum, bestehende Planungsprozesse und andere etablierte Instrumente einfach austauschen, abzuschaffen oder wegzuschmeissen. Es geht darum, zusätzlich auch während der Nutzung solcher Prozesse eine Offenheit zu behalten. In der Lage zu sein, besonders nützliche momentane Gelegenheiten oder eben Veränderungen in Ausgangslage oder Kontext mit geeigneten Methoden bewusst auszuwählen, aufzunehmen und zu integrieren. Und dadurch den gesamten Prozess, den ich vorher geplant hatte, adäquater zu machen.

Mit der Schwierigkeit des Nicht-Planbaren souverän und professionell umgehen zu können.

In der Lage zu sein, agile Methoden als Teil des eigenen Werkzeugkoffers einzubeziehen und sie bei Gelegenheitsfenstern zur Erkennung und Verarbeitungsmechanismen zu nutzen. Das kann unter Umständen eine große Chance sein, mit den schnellen Entwicklungen, denen wir in  letzten Jahren unterworfen sind und in den nächsten Jahren unterworfen sein werden, professionell und bereichernd umgehen zu können.

Autor: Veronika Lévesque

Veronika Lévesque ist beim Institut für Arbeitsforschung und Organistionberatung iafob in Zürich (CH) Organisationsentwicklerin. Und Projektmensch mit einer Vorliebe für Fragen, für die es noch keine fertige Antwort gibt. Begeisterte Grenzgängerin: Unterwegs in 4 Ländern, 3 Sprachen und am liebsten in den Zwischenräumen zwischen Disziplinen. Schwerpunkte: Nutzbarmachung von Übergängen und Transformationshebammerei, Organisations- und Entwicklungshandwerk (Manufaktur, nicht von der Stange), Agile Spielfelder in nicht-agilen Umwelten, Methodenentwicklung, Umgang mit Nicht-Planbarem, Bildungssysteme vs. nicht-formale Bildungswege und 'Fehler machen schlauer.’

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