Ist Diversity and Inclusion die neue Interkulturelle Kommunikation?

Ein Agile Framework für mehr Gleichberechtigung in der Verwaltung

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Was ist Diversity and Inclusion?

Als ich vor einigen Jahren noch als Personalentwicklerin bei einer kommunalen Verwaltung arbeitete, stand ein Workshop an. „Interkulturelle Kommunikation“ war die Überschrift und ich war sehr gespannt, was da alles drankommen würde. Ich bin selbst auf fünf Kontinenten großgeworden, meine Kinder wachsen dreisprachig auf, ich muss noch Briefe vom Finanzamt für meine Eltern „übersetzen“ und ich kenne das Gefühl, zwischen den Stühlen aufzuwachsen. Bei dem Workshop ging es dann zum Teil um Sprache und „Kultur“, es ging aber vor allem um Wertevorstellungen. Ich weiß noch, wie wir dazu aufgefordert wurden, Sprüche aus unserer Kindheit zu zitieren. Während die Sprüche meiner Kolleginnen sich um Sparen und Arbeiten drehten, zitierte ich den Spruch „Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher. Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.“ Dieses Zitat, das mich durch meine Kindheit begleitet hatte, war in diesem Kreis völlig unbekannt. Und obwohl wir in dem Workshop sehr viel mehr übereinander erfahren haben, als wir es im Alltag getan hätten, tat sich da eine Trennwand auf – zwischen der Kultur der „Risikoaversen“ und der Kultur der „Risikofreudigen“. Zwischen dem Spargeist und der Einkaufslust. Zwischen mir und ihnen.

Kritik am alten Paradigma

Interkulturelle Kommunikation – Interkulturelle Öffnung – Interkulturalität ist ein Paradigma, das seit vielen Jahren in öffentlichen Verwaltungen und im Unternehmen eingesetzt wird, um in der Belegschaft ein Umdenken anzuregen: hin zu mehr Empathie für Menschen, die eine andere Sozialisierung erfahren haben als sie. Eine Sozialisierung, geprägt von anderen Werten, anderen Normen, einer anderen Sprache und einer anderen „Kultur“.

Entstanden aus der Ausländerpolitik der 80er Jahre[1] und weiterentwickelt zu dem Versuch der „Integration“, basiert interkulturelle Kommunikation auf der Annahme, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche kulturelle Verhaltensmuster haben und dass wir sie a) verstehen können (und müssen) und b) Angebote entwickeln müssen, damit die Übernahme mehrheitlich akzeptierter Verhaltensmuster gelingt. Die „Leitkulturdebatte“, die zum Teil daraus entstanden ist, zeigt die Gefahren dieses Paradigmas[2]. Zuerst der latente Unterton, dass Minderheitskulturen nur so lange toleriert werden, wie sie die Mehrheitskultur nicht „stören“. Und zweitens, dass Menschen in binäre Kategorien eingeteilt werden können, die zum Teil an nationalen Grenzziehungen festgemacht werden („Deutsche“ und „Ausländer*innen“) – was bereits vorhandene diskriminierende Praktiken im Straf-, Steuer- und Wahlrecht, um nur einige wenige Bereiche zu benennen,[3] verschärft.

Diversität

Diversität hingegen versucht, das Unterscheidungsmerkmal „Ethnizität“ (was hier mit „Kultur“ etwa gleichgesetzt werden kann) als ein einzelnes Merkmal in einem viel weiter gefassten Feld von persönlichen Eigenschaften zu sehen. Das inzwischen bekannte „Diversity Wheel“[1] – in der Abbildung mit den Englischen Bezeichnungen – zeigt die Vielfalt der möglichen Merkmale, durch die Menschen sich selbst definieren oder als fremd bezeichnet werden.

Abb. 1: Diversity Wheel – Johns-Hopkins-University

Entscheidend dabei ist die Intersektionalität – also das gleichzeitige Wirken unterschiedlicher Merkmale, die sich durchaus auch gegenseitig verstärken können, nicht nur im positiven Sinne, sondern auch im negativen. So werden einzelne vermeintlich homogene Gruppen („Frauen“ oder „Männer“) plötzlich vielfältiger (heterosexuelle, verheiratete und in einer monogam-gelebten Beziehung lebende Frauen mit leiblichen Kindern im Vergleich zu heterosexuellen, geschiedenen und in einer der Ehe gleichgestellten Beziehung lebende Frauen mit nicht-leiblichen Kindern). Was am Anfang als eine übermäßige Nutzung von Bindestrichen erscheint, ist am Ende der Versuch zu zeigen, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Lebensrealitäten haben. Sowohl auf Grund der eigenen Zuschreibungen, aber auch – und das ist zentral für die Frage nach Inclusion – der Zuschreibungen anderer, vor allem Menschen in Machtpositionen.

Agilität: Gleichberechtigung als neue Orientierungsmuster

Agile Methoden leisten einen wertvollen Beitrag zu der Diskussion um Diversity und Inclusion. Ein Kerngedanke, der in beiden Frameworks mitschwingt, ist der Ansatz, Meinungsvielfalt nicht nur zuzulassen, sondern bewusst zu fördern. Es reicht nämlich nicht mehr aus, als öffentliche Institution einen bunten Hochglanzprospekt zu drucken und zu verkünden, man sei nun tolerant. Vielmehr ist gefragt, wie denn die tatsächlich gelebte Realität für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bürgerinnen und Bürger in und mit dieser Institution gestaltet wird. Gibt es Raum für Rückmeldungen, die den Status Quo in Frage stellen? Ist man und frau dazu bereit, vom „so haben wir es schon immer gemacht“ abzuweichen und sich aus der Komfortzone hinauszuwagen? Werden Meinungsverschiedenheiten als wesentlicher Teil der Unternehmenskultur gesehen und Methoden zur Verfügung gestellt, diese Konflikte im geschützten und strukturierten Rahmen auszutragen? Wenn wir Gleichberechtigung als neue Orientierungsstruktur nehmen möchten, brauchen wir einen methodischen Rahmen, um nicht nur die Gipfel zu erklimmen, sondern auch durch die Täler zu kommen.

Denn Diversität kann auch konfliktreich sein. Diverse Teams sind nicht nur effizienter und resilienter, sondern tragen ein viel höheres Konfliktpotential. Das muss erkannt und begleitet werden, in dem Raum angeboten wird, nicht nur über inhaltliche Themen zu sprechen, sondern auch über die Zusammenarbeit als Team, die Rollenzuteilung und die Arbeitslast. Alle agilen Methoden sehen Feedback-Zyklen vor. Diese stellen durch einen methodischen Rahmen sicher, dass a) das Produkt und den Prozess nicht aus den Rudern läuft aber auch, dass b) über die Zusammenarbeit gesprochen wird. Ein sukzessives einführen solcher Methoden kann – auch übrigens in nicht diversen Teams – viel zur Zusammenarbeit beitragen.

Reflexion über die Autorschaft dieses Artikels

Als weiße, heterosexuelle, cis-normative Frau, die diesen Blogartikel im Eigenheim mit den Stimmen (und dem Geschrei) der leiblichen Kinder im Hintergrund schreibt, ist es ziemlich einfach, von einem Standpunkt aus zu schreiben, der ziemlich neutral und objektiv klingt. Die Verwendung von Fremdwörtern und das Anklingen eines akademischen Hintergrundes – untermauert durch den Hinweis auf weiterführende Literatur in den Fußnoten – verleiht dem Blogartikel eine Art „Expertenglanz“. Diversität und die Diskussion über Diskriminierung sind immer verbunden mit dem Erkennen der eigenen Privilegien. Und obwohl ich durch meine eigene Migrationsgeschichte geprägt bin und selbst oft über die Frage „wo ich denn herkomme“ stolpere, unterscheidet sich meine Lebensrealität auf Grund meiner blonden Haare und meiner grünen Augen, meines Bildungshintergrundes und desjenigen meiner Eltern sowie vieler anderer Faktoren nochmals von der Situation vieler anderer Menschen, die eine Migrationsgeschichte mit sich tragen. Zu dem Thema Diversität und Inklusion bin ich durch meine praktischen Erfahrungen mit und in Verwaltungen gekommen, weniger durch akademische Studien und Erfahrungen in der freien Wirtschaft oder im Bildungswesen, wo andere Herausforderungen zu meistern sind.


[1] https://www.researchgate.net/figure/Diversity-Wheel-as-used-at-Johns-Hopkins-University-12_fig1_320178286


[1] http://www.i-iqm.de/dokus/Expertise.pdf

[2] https://www.bpb.de/apuz/26535/leitkultur-als-wertekonsens

[3] Mehr zu Diskriminierungserfahrungen in Deutschland hier https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/expertise_diskriminierungserfahrungen_in_deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=8

Autor: lilaasax

Lila Sax dos Santos Gomes ist freiberufliche Beraterin für mehr Gleichberechtigung in Verwaltungen und Unternehmen und CEO von Yarrow Global Consulting gGmbH.

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