Papier „Acht Handlungsfelder für die nächste Bundesregierung“ – ein paar Anmerkungen

Im letzten Oktober hat ein Autorenkollektiv aus Bundesministerien, Bundes- und Landesbehörden, Hochschulen und Beratungseinrichtungen ein Papier mit dem Titel „Eine moderne Verwaltung ist Voraussetzung für Deutschlands Zukunftsfähigkeit und Demokratie. Acht Handlungsfelder für die nächste Bundesregierung“ in die öffentliche Diskussion gegeben. /Anmerkung 1/ Wir möchten gerne zur Verbreitung dieses Papiers beitragen, weil wir eine Diskussion um die Frage „Was bezwecken wir eigentlich mit einer Verwaltungsmodernisierung?“ für extrem wichtig halten. Und da hat das Papier noch einige Lücken.

Die acht Handlungsfelder

… sind folgende:
1.) Das Selbstverständnis von Verwaltung erneuern
2.) Zukunftsorientiertes Verwaltungshandeln implementieren
3.) Modernes Personalmanagement für die Mitarbeiter:innen in der Verwaltung
4.) Verwaltungsprozesse für eine digitale Welt designen
5.) Verwaltungshandeln ergebnis- und zielorientiert gestalten
6.) Staatliches Handeln horizontal und vertikal öffnen
7.) Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen sowie EU verbessern
8.) Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz stärken

Unter diesen Überschriften werden teils Forderungen erhoben. So unter 3.) Personalmanagement: „Wir brauchen viel mehr ‚Change Agents‘, also Menschen, die Freude an der Veränderung haben, die miteinander vernetzt sind und damit als Botschafter:innen in die jeweilige Verwaltung hinein wirken können und wollen.“ Zum Teil werden auch konkretere Vorschläge gemacht, wie „Bewertungs- und Anreizsysteme können … so überarbeitet werden, dass sie Motivation stärker fördern sowie gute Leistung, Engagement und Innovationsfreude auch kurzfristig honorieren.“

Aber irgendwie hat das Papier nichts Mitreißendes – so ging es mir zumindest beim Lesen. Gerald Hüther, der bekannte Hirnforscher, hat kürzlich in einem Interview darauf hingewiesen, dass tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen in Organisationen nur gelingen, wenn die Beteiligten voller Begeisterung an die Sache gehen. Dann würden bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet, die unsere Gehirne plastisch und kreativ machen. /Anmerkung 2/

Aber Begeisterung lösen die „Acht Handlungsfelder“ nicht aus. Der Ton ist eher bemüht, angestrengt.
Woran liegt das? Die Autor:innen sind durch die Bank erfahrene Menschen, auch voller besten Willens. Aber irgendwas fehlt.

Wenn ich nicht sage, von wo ich weg will, kann ich auch kein Ziel bestimmen, wo ich hinwill

Das ist der Grund, glaube ich. Kritik an den bestehenden Verhältnissen in unseren Verwaltungen kommt fast nicht vor.

Wir können uns aber nicht auf den Weg zum Neuen machen auf ausgetretenen Pfaden. Die alten Wege führen nur zu alten Zielen. Neue Wege zu bahnen ist mühsam. Die Anstrengung unternimmt nur, wer eine klare Vorstellung von der Begrenztheit der alten Routen hat. Ohne Kritik am Vorhandenen ist eine Vision, die uns motiviert, nicht zu haben. Wer glaubt, man müsse nur einfach loslaufen – wer meint, er könne sich und uns die Arbeit der Ist-Analyse ersparen – führt uns letztlich unvermeidlich auf die alten Wege zurück.

Und Kritik an den jetzigen Verhältnissen gibt es im Papier fast keine. Ich habe nur vier kurze Stellen gefunden. Davon lautet die prägnanteste:


„Es (geht) auch um die Erneuerung der obrigkeitlichen Verwaltungskultur, die mit Bürger:innen an vielen Stellen kommuniziert, als seien diese unerzogene, zu bevormundende Kinder (sprachliche Beispiele: ‚Belehrung‘, ‚Vorladung‘, ‚Bewilligung‘).“


Das ist – mit Verlaub – eine reichlich weichgespülte Darstellung des heutigen Verhältnisses Verwaltung – Bürger. Es geht nicht nur um „sprachliche Beispiele“, nicht nur um Kommunikation, sondern um tatsächliche Handlungsweisen. Und die sind nicht (mehr) im wesentlichen obrigkeitlich (Relikte davon gibt es auch zuhauf, klar!) – sondern vor allem technokratisch: der Bürger muss in Gestalt eines „Kunden“ auf die Verwaltung zukommen und einen Antrag stellen. Tut er das nicht, wird sich die Verwaltung auch nicht um ihn kümmern.

Dieses Paradigma ist seit der Einführung des Neuen Steuerungsmodells und seiner neoliberalen Eltern (New Public Management usw.) so tief in der DNA der staatlichen Bürokratien verankert, dass z.B. vor einem Jahr Callcenter für die Impftermine eingerichtet wurden, bei denen die Betroffenen sich die Finger wund wählten. Auf die Idee wie im Rest der EU, den Bürgern einfach per Brief Impftermine anzubieten, kam niemand (außer in Bremen und ein paar Schwarzwalddörfern). Die Abwendung des Staates von jeder Fürsorgepflicht ist eine der größten Verheerungen der letzten 30 Jahre in der Verwaltungskultur und die Grundlage für den merkwürdigen Zwitter einer „technokratischen Bürokratie“, den wir in Deutschland vorfinden.

Genchi Genbutsu: „An die Basis gehen“

Eine weitere Lücke im Papier ist – wie ich finde –die Abwesenheit jeder Hierarchiekritik. Nach wie vor haben in den allermeisten Verwaltungen die Sachbearbeiter:innen, die die Arbeit machen, keine Zeichnungsbefugnis. Jeder Beschluss, jeder Bescheid, der nach außen geht, muss von mindestens einem Vorgesetzten formell unterschrieben werden. Das ist, soweit ich es in meinen Projekten erlebe, eine ganz wichtige Quelle von Demotivation im öffentlichen Bereich. Keine Bewegungsfreiheit – alles nur im Korsett.

Da kann man viel abstrakt über „neues agiles Führungsverständnis“ sprechen – wenn wir das nicht ändern, wenn wir diesen dauernden Verschiebebahnhof von Entscheidungen „Hierarchie rauf – Hierarchie runter“ nicht abschaffen, können wir von Verwaltungsmodernisierung nicht ernsthaft sprechen. Und vor allem: wenn die Mitarbeiter:innen keine Vorstellung haben können, was sich durch eine „moderne Verwaltung“ bei ihnen im Alltag konkret ändert, werden sie keinerlei Energie darauf verschwenden wollen. Das Toyota-Prinzip „an die Basis gehen“ hatte in Japan der alte Firmenchef proklamiert und war selbst in die Fabrikhallen und an die Bänder gegangen, um dort mit den Mitarbeiter zu diskutieren. Denn er war der Meinung, dass Änderungen nur dann ihren Namen verdienen, wenn man sie stündlich und minütlich im gewöhnlichen Alltag merkt.

Neue „Anreiz- und Bewertungssysteme“, wie sie die Autor:innen proklamieren, dienen keiner wirklichen Verflüssigung der gegenwärtig starren Arbeitsweisen. Deshalb entsteht aus dem Papier auch kein lebendiges, packendes Bild eines „New Work“ der Zukunft. Anreize für Leistung braucht kein Mensch. Er braucht nur die Möglichkeit, sinnvoll zu arbeiten.

Anmerkungen

/1/ Nanz, Patrizia; Borggräfe, Julia; Hassel, Anke u.a.: Eine moderne Verwaltung ist Voraussetzung für Deutschlands Zukunftsfähigkeit und Demokratie – Acht Handlungsfelder für die nächste Bundesregierung. Neben den drei Hauptautorinnen ist das Papier von 20 weiteren Co-Autor:innen unterzeichnet. Siehe https://zenodo.org/record/5560895#.Ye0-xfgxlPY

/2/ Marschalck, Melanie von: Begeisterung ist Dünger für’s Gehirn, Interview mit Gerald Hüther, Magazin Gelb, DHL, veröffentlicht auf kulturwandel.org, ohne Datum, https://kulturwandel.org/inspiration/interviews-und-texte/begeisterung-ist-dunger-furs-gehirn/, abgerufen am 26.01.2022

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

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