Stehenbleiben oder abhauen? Zum Verständnis von Sicherheit in der Verwaltung

Ein Beitrag von Netsanet Berhane und Lila Sax dos Santos Gomes

Es ist allgemein bekannt, dass das menschliche Gehirn Veränderung oder Neuanpassung nicht leicht hinnimmt, Die vornehmliche Aufgabe des Gehirns ist „Energie zu sparen“ und möglichst nur „bekannten Situationen beziehungsweise Abläufen zu vertrauen“. Alles soll und muss in klar definierten Bahnen ablaufen, da dem menschlichem Gehirn damit – SICHERHEIT suggeriert wird.

Treten schlimme Zeiten ein (damals Säbelzahntiger oder Mammuts, heute vielleicht Naturkatastrophen), wird man mit unvorhersehbaren Umständen konfrontiert und man muss schnell und lebenserhaltend handeln. Vor allem aber muss man unbekanntes Terrain betreten. Das verlangt einem so viel Energie ab, dass es kein Wunder ist, wenn sich Menschen lieber schön gemütlich auf altbewährtes verlassen, Veränderungen und denen sich daraus ergebenden neuen Lebensumständen gegenüber skeptisch verhalten.

Der kleinste Funke von UNSICHERHEIT reicht schon aus, um im Hirnstramm die Verhaltensweisen „fliehen“ oder „angreifen“ zu signalisieren.    

Wie geölte Zahnräder einer gigantischen Maschine

Nur befinden wir uns nicht mehr in prähistorischen Zeiten, sondern leben inmitten den Fängen veralteter Administrationen und des Kapitalismus. „Fliehen“ oder „angreifen“ sind nicht üblich. Vielmehr prägen Kultiviertheit und ziviler Umgang das menschliches Verhalten in deutschen Verwaltungen.

Von außen betrachtet scheint alles gut zu laufen – geschmiert gut, will man meinen! Ebenso gut, wie geölte Zahnräder einer gigantischen Maschine, deren durchdeklinierten Arbeitsprozesse, Rahmenbedingungen und Gesetzesbestimmungen der Belegschaft einer Stadtverwaltung SICHERHEIT vermitteln. Dieselbe SICHERHEIT, welche die gewünschte Balance zwischen Effektivität, Aufwand und Zufriedenheit durch monatliche Bezahlung die Angestellten glücklich macht.

„So ein eingespieltes System ist unantastbar.“ „Wer weiß, was sich die „da oben“ nach der ersten Umstellung noch so einfallen lassen.“ Oder: „Passend geölte Zahnräder eines Systems werden doch nie wieder wie früher laufen, wenn man auch nur einziges Schräubchen verändert„. Das sind die bekannten Aussagen fernab von Change-Management, SCRUM, AGILE Prozesse, Machine-Learning und KI-Methoden.

Nun. Ihnen als Leser:innen unserer Blogbeiträge sind die genannte Methoden selbstverständlich bestens vertraut.

Bei Industrie 4.0 – dem Zeitalter der Digitalisierung, beherrschen rasante technische Errungenschaften menschliches Arbeiten. Man kann schwerlich von SICHERHEIT sprechen, da kein Bereich menschlichen Handelns vor Anpassung und Neuausrichtung gefeit ist! Wirtschaftsunternehmen, Mittelständler, Stadtverwaltungen, Bildungseinrichtungen und selbst Familie kennen seit langem keine SICHERHEIT mehr. Alle sind angehalten, sich den notwendigen Veränderungen zu stellen, da die in diesen Bereichen gefundene Einsichten der Garant für ein harmonisches Gemeinschaftsleben auf allen Ebenen ist.

Unsicherheit in Bildern Image by rawpixel.com on Freepik

Anfangen ist schwer

Vielleicht weiß man nicht, wo man mit den Veränderungen beginnen sollte. Oder man hat das Gefühl, die Zeit sei dafür nicht reif. Oder es ist die falsche Regierung. Welche Hindernisse es auch immer geben mag, bislang ist wenig Signifikantes geschehen. Allgegenwärtige Neo-Koloniale Strukturen sind der Grund für Landraub, Massen von Binnenvertriebenen und Asylsuchenden, für Rechtspopulismus, Homophobie, Rassismus sowie gnadenloser Diskriminierung. Der Irrglaube Weltgeschehnisse seien von technischen Errungenschaften unbeeinflusst, oder Nationen könnten ihre Herausforderungen alleine meistern ist ein Trugschluss. Das hat sich heute mehr denn je bewahrheitet.

Nichts lässt sich mehr im Kleinen lösen – alles ist mit allem Verbunden und somit auch nur noch im Ganzen lösbar.

Ganz gleich wie viele Prozessschritte es für die alltägliche Erledigung verschiedenster Arbeiten bei der Stadtverwaltung gibt, vordergründig will nur der Punkt der SICHERHEIT geregelt sein. Und das erzielt man durch gute Kommunikation, bedarfsbedingtes Handeln und einer permanenten Evaluation der Zufriedenheit der Kunden. Und mit Kunden sind die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt gemeint. Ganz gleich welcher Herkunft, welches Alter, welche sexuellen Orientierung, Bildung oder sozialen Stellung. Ihnen muss das Dienstleistungsangebot der Stadtverwaltung dienen und zugutekommen.

Aus diesem Grund ist nur eine Frage wichtig: „wie kann es deutschen Verwaltungen gelingen, kontinuierliche SICHERHEIT durch die Einführung neuer Umgangsformen und Arbeitsweisen zu bekommen? Wie kann der Fokus auf die Notwendigkeiten bei der Ausführung der täglichen Arbeit gesetzt werden. Wie kann die Lösung schwieriger Aufgaben als das Meistern von unvorhersehbaren Herausforderung angesehen werden? Überhaupt, wie können Angestellte Zufriedenheit durch die Erstellung neuer Lösungen erzielen?

Meist scheint es so, als ob man kleinen Veränderungen gegenüber offener eingestellt ist, da sie leichter umsetzbar scheinen und den SICHERHEITSASPEKT nicht allzu sehr gefährden.

Akute Notwendigkeiten wie eine diverse und inklusionsreiche Verwaltung werden hingegen weniger drängend empfunden. Diese Veränderung können Befürchtungen auslösen. Beispielsweise, dass das gute Betriebsklima leiden könnte oder dass klare Betriebsstrukturen und die dazugehörenden Hierarchien verloren gehen.

Dabei geht es den meisten Angestellten gar nicht um ein höheres Entgelt, mehr Freizeit oder Ähnlichem. Es geht vielmehr um eine Ausgewogenheit zwischen rationellem und herzlichem Verhalten. Um sinnstiftende Tätigkeiten, die durch Handlungsspielraum, Eigenverantwortung, Akzeptanz und wahrhaftigem Teamgefühl – SICHERHEIT vermitteln soll.  

Mehr Menschlichkeit

Dieser Wandel zu mehr Menschlichkeit ist in vielen Stadtverwaltungen oder politischen Institutionen jedoch noch nicht lebbar, denn keiner weiß, wo man mit derartigen Veränderungen überhaupt beginnen soll.  Man weiß nicht, wie man der Belegschaft den Weg aus der vermeintlichen SICHERHEIT verträglich vermittelt kann, da plötzlich etwas in den Vordergrund tritt, das bisher unwesentlicher nicht hätte sein können. Plötzlich steht die Befindlichkeit der Belegschaft einer Stadtverwaltung gleichauf mit der Zufriedenheit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Recht und Pflichten aller Beteiligter werden frei von Voreingenommenheit als gelebt Demokratie, ungeachtet vorhandener oder nicht vorhandener Mittel hochgehalten.

Mutig vorangehen

Einige wagemutige und innovative Stadtverwaltungen nutzen diese ungekannten Umgangsformen bereits sehr erfolgreich. Sie werden damit der neu definierten Zufriedenheit und Freude am Arbeitsplatz des 21. Jahrhunderts gerecht. Anstelle trügerischer SICHERHEIT, erreichen sie dadurch den Mehrwert zufriedener Bürgerinnen und Bürger in ihrer Stadt.

In diesen Städten genehmigen Vorgesetzte ihren Teams Trainings und Workshops zum besseren Verständnis von Vielfalt und Inklusion. Konfliktmanagement Schulungen und Kommunikation Trainings stehen ebenfalls auf der Tagesordnung. Damit kann den erheblichen demographischen Veränderungen begegnet werden, die in den nächsten Jahren vielerorts anstehen. Die bevorstehende Pensionierungswelle der Boomer-Generation wird zu einer Verjüngung der Stadtverwaltungen und ihren ranghöheren politischen Einrichtungen führen. Mit einem mächtigen Wandel kann in den Stadtverwaltungen daher ohnehin gerechnet werden!  

Ein Ja auf das Wagnis, ins Unbekannte zu treten! Ein Ja auf das Andersdenken, auf das Fremde, das Weit-Entfernte! Ein Ja auf die Reise dahin, auf die vielen Fehler die passieren werden und was wir daraus lernen können! Überhaupt ein Ja auf das Lernen und nicht auf das Wiederholen von Bekanntem! Ein Ja auf Neues, auf das Zwischenmenschliche, auf Aufbruch und Risiko und Unsicherheit!

Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher.
Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.

Autor: lilaasax

Lila Sax dos Santos Gomes ist freiberufliche Beraterin für mehr Gleichberechtigung in Verwaltungen und Unternehmen und CEO von Yarrow Global Consulting gGmbH.

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