Entwicklung und Förderung einer agilen Haltung mithilfe unterschiedlicher Formate

Beitrag von Corinna Höffner, FOM Hochschule

Erste Phase im Projekt „Reallabor Agiles Arbeiten“

Im Forschungsprojekt „Reallabor Agiles Arbeiten“ werden agile Arbeitsweisen in zwei Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen erprobt. Zu Beginn führte das Forschungsteam eine Bestandsaufnahme durch, bei der die Frage im Mittelpunkt stand, welche Erfahrungen die Beschäftigten bisher mit Agilität im Arbeitskontext gemacht haben und welche Einstellungen sie gegenüber der möglichen Einführung agiler Arbeitsweisen haben. Die Bestandsaufnahme zeigt, dass die mit Agilität und Arbeitsweisen verbundenen Assoziationen der Beschäftigten sowohl positiv als auch negativ sind. Die Kenntnisse und Erfahrungen reichen von großem Expertinnen- und Expertenwissen hin zu Unerfahrenheit mit agilen Arbeitsweisen. Deutlich wurde vor allem eins: Die bedeutende Rolle von agiler Haltung („Mindset“), Methodenkompetenz und (agiler) Führung – drei Aspekte, die im weiteren Projektverlauf jeweils explizit zu adressieren sind. In diesem Forschungsprojekt wurden auf Landesebene agile Arbeitsweisen diskutiert, erprobt und eingeführt.

Mit dem Fokus auf die drei genannten Faktoren und Bedürfnisse der Beschäftigten wurde das weitere Forschungsvorgehen ausgerichtet. Zunächst galt es in einer ersten Phase, eine agile(re) Haltung der Beschäftigten zu fördern. Oftmals auch als „agiles Mindset“ beschrieben, wurden zu dessen Entwicklung unterschiedliche Formate („Interventionen“) in den Ministerien angeboten.

„Coffee-Talks“

Im hybriden „Coffee-Talk“ sprach das Forschungsteam des ifpm mit der Ministerin des jeweiligen Ministeriums über ihr jeweiliges Verständnis von Agilität, die Bedeutung und das Potenzial agiler Arbeitsweisen für das Ministerium und ihre Erwartungen an die unterschiedlichen Beteiligten. Die Beschäftigten konnten digital und live dabei sein, sich virtuell zu dem einstündigen-Format dazuschalten und sich einbringen. So hatten die insgesamt 212 Teilnehmenden Gelegenheit, Fragen zu stellen und Anmerkungen zu geben. Ziel war es, das Commitment der Hausspitze zu zeigen, für das Thema Agilität in der Organisation zu begeistern, über das Projekt und die geplanten Aktivitäten zu informieren und zum Mitmachen zu animieren.

Ausschnitt aus dem hybriden Coffee-Talk im MWIKE vom 12.08.2022 (links) und im MKJFGFI vom 29.08.2022 (rechts).

„Achtsamkeitstrainings“

Im Rahmen des Projekts wurden Achtsamkeitstrainings mit  zwei unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Ein Training beschäftige sich thematisch mit der „Verbindung von Agilität und Achtsamkeit“ und machte deutlich, wie beides zusammenhängt: Mit Achtsamkeit kultiviert man die notwendige Haltung im Sinne von Selbstführung und Reflektion, die es für die erfolgreiches agiles Arbeiten braucht. Das andere Achtsamkeitstraining thematisierte den „Mythos Multitasking“. Hierbei wurde deutlich, dass es keine Gleichzeitigkeit gibt. Wenn E-Mails während einer Konferenz bearbeitet oder während eines Telefonats gelesen werden, machen wir nicht wirklich etwas gleichzeitig, sondern wechseln schnell zwischen den Aufgaben und teilen dadurch unsere Aufmerksamkeit. Das Resultat ist ein deutlich stärker wahrgenommener Zeitdruck und damit verbunden Stress und Erschöpfung. Ziel des Trainings war es, in einer persönlichen Reflexion typische Multitasking-Momente zu identifizieren und gemeinsam mit den Teilnehmenden zu überlegen, was anders gemacht werden kann. Das Ergebnis: mehr fokussierte Single-Tasking-Arbeiten, weniger Zulassen von Ablenkung, Einlegen von mehr Pausen und das Schaffen kleiner „Ruheinseln“, manchmal kann auch „Nein, jetzt bitte nicht“ helfen. Insgesamt gab es 51 Teilnahmen an den insgesamt sechs Trainings (teils virtuell, teils in Präsenz) .

„Achtsamkeit, ein Gedicht“; entstanden in den Achtsamkeitstrainings (FOM/Margitta Eichelbaum)

„Agile Impulse“ („Nugget-Sessions“)

„Nugget“ ist der englische Begriff für ein kleines Klümpchen Gold. Im Rahmen so genannter „Nugget-Sessions“ wurden den Beschäftigten kleine wertvolle Impulse zu Agilität angeboten. In diesen virtuellen, maximal einstündigen Formaten wurden themenspezifische Impulse rund um das Thema agiles Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung von Herrn Prof. Dr. Hermann Hill der Universität für Verwaltungswissenschaften gegeben, ergänzt um eine Diskussion im virtuellen Raum. Zielsetzung war es, gedankliche Impulse mitzunehmen, neue Sichtweisen zu üben und darüber die persönliche Arbeit zu reflektieren. Im Fokus steht es, Veränderungsbedarfe zu erkennen und Ansätze für eigenes Handeln zu identifizieren. Die Sessions richteten sich an alle, die das Thema Agilität in der öffentlichen Verwaltung interessiert; sowohl „Begeisterte“ als auch „Skeptiker:innen“, „Newbies“ und „Expert:innen“ im agilen Arbeiten und darüber hinaus. Die Angebote standen allen Beschäftigten offen – sie wurden transparent über das Intranet und über die gemeinsame Arbeitsplattform kommuniziert und als Lunch-Session konzipiert. Insgesamt waren 170 Personen dabei.

Übersicht und Zusammenfassung der „Nugget-Sessions“

Titel:
„Agiles Arbeiten in Ministerien“

Beschreibung:
Was bedeutet agiles Vorgehen bei der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten? Gesetz ist nicht gleich Gesetz, Organisation nicht gleich Organisation: Welche rechtlichen und faktischen Spielräume bestehen? Wie gestaltet man Experimente so, dass sie vor Gerichten und Rechnungshöfen bestehen?

Zusammenfassung:
Öffentliche Angelegenheiten befinden sich im Wandel und führen dazu, das Regieren neu gedacht werden muss. Agilität bedeutet wirksam verwalten und die Ziele des Gesetzes und die Rechte der Betroffenen am effektivsten zu verwirklichen. Hierzu müssen Alternativen bedacht und Handlungsräume erweitert werden. Reallabore ermöglichen andere Denk- und Arbeitsweisen und das Ausprobieren agiler Methoden.

Titel:
„Max Weber und seine Folgen“

Beschreibung:
Werden die Grundsätze der „Bürokratie als rationale Herrschaft“ noch der „VUCA-World“ gerecht? Wo hindern uns bestehende Strukturen und Abläufe an neuem Handeln? Wie kann man über Kästchen und Silos hinweg Wissen, auch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, kommunizieren und Prozesse beschleunigen?

Zusammenfassung:
Neues in der Bürokratie bringt mitunter Unruhe und Unsicherheit in die Verwaltung, aber eben auch Bewegung, Flexibilität und sinnvolle Veränderungen. Die Menschen in der Verwaltung dürfen gemeinsam und aktiv diese Veränderungen mitgestalten und Experimente wagen, digitale Möglichkeiten nutzen und lernen und reflektieren. Mit ein wenig Mut lässt sich dann ein möglicher Kontrollverlust in einen Vertrauensaufbau verwandeln und gemeinsam schafft man einfach mehr.

Titel:
„Auf dem Weg zu einer neuen Verwaltungskultur““

Beschreibung:
„Culture eats strategy for breakfast“ (Peter Drucker). Allgemeines deutsches Landrecht:  „Es war schon immer so.“ Wo sind unausgesprochene Selbstverständlichkeiten oder Gewohnheiten?  Welche Kultur ist für Neueinsteiger/Mitarbeitende attraktiv zum Kommen, Bleiben und Anpacken? Wie können wir die Kultur „hacken“, Empathie für die Aufgabe entwickeln, einen Growth Mindset herausbilden und Lernsituationen für persönliche Weiterentwicklung schaffen?

Zusammenfassung:
Es darf sich etwas verändern in der Verwaltungskultur und was gut ist, darf auch bleiben. Aber ein „So haben wir das schon immer gemacht“, das reicht heute als Begründung nicht mehr aus. Wenn Strukturen und Prozesse nicht mehr sinnvoll sind, erfahren diese eine Veränderung. So ändert sich die Verwaltungskultur zwar nicht umgehend, aber stetig. Voraussetzung ist die Beteiligung aller. Mit etwas Flexibilität dürfen die Menschen in der Verwaltung gemeinsam und aktiv diese Veränderungen mitgestalten.

Titel:
„Führung und Zusammenarbeit“

Beschreibung:
In einer komplexen und unsicheren Welt ist die Aufgabe der Führung, die Potentiale, das Engagement und die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden zu fördern. Ihre Eigeninitiative und Selbstregulation sowie die Arbeit in agilen Teams schaffen Vorsorge und Resilienz auch für neue, unbekannte Aufgaben. Die Rolle der Führungskraft liegt in der Ermächtigung, begleitenden Unterstützung sowie Ermutigung. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Kohärenz herzustellen zwischen den Zielen der Organisation und individuellen Initiativen.

Zusammenfassung:
Agilität im Kontext Führungshandeln meint Handlungsleitlinien zu einer wirksamen Verwaltung und rechtliche sowie faktische Spielräume sinnvoll zu nutzen. Führung heißt dabei Gestaltung zu übernehmen und in die Umsetzung zu gehen. „In Führung gehen“ meint einfach anfangen, ausprobieren und mit gutem Beispiel vorangehen. Führung im Sinne von Leadership ist etwas anderes als ein Verwalten oder Managen. Eine agile Führung bedeutet beweglich sein und loslegen, am besten mit Rückendeckung seitens des Teams und der Führungsebene.

Titel:
„Ins Handeln kommen“

Beschreibung:
Womit fangen wir an? Wie gehen Sprints und Prototypen (minimal viable products)? Wie integriert man Feedback und bildet iterative Schleifen? Wie geht man mit Überraschung Wie geht man mit Überraschungen und Rückschritten um? Welche Rolle spielt „Fehlerfreundlichkeit“ (Start-up-Denken)? Wie verbindet man Agilität mit Resilienz?

Zusammenfassung:
Haltung, Methoden und Kompetenzen sind wichtig, aber letztendlich muss man ins Handeln kommen, raus aus bekannten Denkmustern und „alten Trampelpfaden“ und gedanklich Neuland betreten, Experimente wagen, Möglichkeiten nutzen, gemeinsam lernen und reflektieren.

Die Wirkung der Formate

Im Anschluss an die Formate wurden die Inhalte der Veranstaltung von den Teilnehmenden über eine Mentimeter-Abfrage evaluiert. Neben fachlich neuem Input haben die Teilnehmenden durch die unterschiedlichen Formate neue Perspektiven für ihren Arbeitsalltag gewinnen können.

Feedback der Teilnehmenden zu den Formaten „Achtsamkeitstrainings“ und „Nugget-Session“ (Median) via Mentimeter

Das persönliche Feedback Teilnehmender während der Workshop-Formate zeigt, dass mit den Workshops erfolgreich wissenschaftliche Inhalte in Bezug zur Berufspraxis gesetzt werden konnten. Die (kleinen) agilen Impulse wurden gleich „mitgenommen“:

„Geistige Entspannung! Auf eine Sache konzentrieren. Mit etwas Abstand reagieren. Zeit für konzentriertes Arbeiten in Anspruch nehmen. Pausen einhalten. Danke! – Gleich geht’s ins Grüne zu einem schönen Spaziergang.“

Veränderungen im Kleinen ansetzen, das ist gut.“

„Meine erste Nugget Session – begeistert von dem Format!“

„Gute wissenschaftlichen Inhalte verbunden mit den Erfahrungen der Praxis und die Möglichkeit interdisziplinärer und interministerieller Zusammenschlüsse.“

„Einfach mal machen!“

„Geht nicht, gibt’s nicht!“

„Veränderungen im Kleinen ansetzen, das ist gut.“

What’s next?

Mit Bezug auf die Ergebnisse der Bestandsaufnahme und das Feedback der Teilnehmenden zu den bisher durchgeführten Formaten wurde deutlich, dass neben der Entwicklung einer agilen Haltung vor allem das Kennenlernen konkreter agiler Methoden und Arbeitsweisen sowie die Diskussion möglicher Anwendungsfelder im eigenen Arbeitsbereich notwendig ist, um Veränderung auch im Alltag zu ermöglichen. Im weiteren Projektverlauf gilt es also, die methodische Kompetenz zu fördern und dabei auch die Führungskräfte gezielt in den Blick zu nehmen. Dabei werden sowohl etablierte agile Methoden wie Kanban, Scrum und Design Thinking erprobt als auch mit alltagsbezogenen agilen Hacks experimentiert, um Anwendungsfelder zu identifizieren und die Machbarkeit alternativer Arbeitsweisen zu erfahren.

Das Projekt „Reallabor Agiles Arbeiten“ wird realisiert von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management, dem Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW (MWIKE) und dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW (MKJFGFI).

Autor: Corinna Höffner

Projektkoordinatorin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Reallabor Agiles Arbeiten" ifpm Institut für Public Management der FOM Hochschule für Oekonomie & Management corinna.hoeffner@fom.de

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