In diesen Tagen lese ich wiederkehrend über den Zusammenhang von Mindset und Agilität.
«Agilität kann bekannten, aber oft „unterversorgten“ Aspekten einen strukturellen und systematischen Rahmen geben.
[1] https://agile-verwaltung.org/2018/12/13/agilitat-alter-wein-nur-neue-schlauche-ist-das-kunst-oder-kann-das-weg/
Agil ist weder neu noch originär noch total anders. Es ist auch nicht das Aufgeben aller Planung, Struktur und Rahmung zugunsten von spontan-willkürlichem Ausprobieren mit Fühl-mich-spür-mich-Groove, wie manchmal behauptet wird.
Was agile Haltungen und Methoden leisten können, ist, dass sie wichtige Blickwinkel und Aspekte als faktische Bausteine oder Gefässe benennen und priorisieren und fest in Methoden und Prioritäten zu integrieren verstehen.»
Ganz kurz heisst das, dass Agilität Haltung, Verhalten und Handeln zu kombinieren versteht, anstatt sie als parallele, nur zufällig verwandte Prozesse zu behandeln, wie es im klassischen Arbeitsalltag oft passiert.
Das ist zum Beispiel eine Stärke der 6 Faustregelsätze zu agilem Vorgehen, welche das Forum Agile Verwaltung in seinen Anfangszeiten formuliert hat, um der Verwaltung zu beschreiben, was Agilität ist, was sie tut und was sie mit Verwaltung zu tun haben könnte.
Faustregeln zu „Agil“
mehr als Detaillösungen buchstabengetreu abzuarbeiten:
Ein „Grosses Ganzes“ in den Blick nehmen,mehr als Zuständigkeiten aufrechtzuerhalten oder Silos zu schützen:
cross-funktionale übergreifende produktbezogene Teams bilden,mehr als routinemässig Standards zu folgen:
mit überschaubaren Änderungen und Teilprodukten experimentieren.mehr als es selbst allein besser zu wissen:
Die Anspruchsberechtigten früh einbeziehen und Volatiles früh benennen,mehr als im altbekannten Eigenen zu bleiben und sich von Aussensicht abzuschirmen:
sich regelmäßiges Feedback von innen und außen verschaffenund so die Organisation immer wieder stets angemessen machen.“
Forum Agile Verwaltung
Darin werden Handlungsweisen und Haltungen gleichermassen beschrieben, in jedem Satz ist jeweils beides enthalten.

Bild: V. Lévesque
Haltung, Verhalten und Handeln sind untrennbar miteinander kombiniert.
Wie wichtig das zum Beispiel in Digitalisierungszeiten ist, zeigt eine vor einigen Jahren erschienene Studie zur Digitalisierung des Zukunftsinstituts.
Sie beschreibt, kurz formuliert, 5 Handlungsfelder und Konsequenzen, die in der Digitalisierung wichtig sind, um diese zu bewältigen:
IDENTITÄT
Digitalisierung braucht Orientierung an der eigenen Identität. Diese muss bewusst und bekannt sein bzw. formuliert und bekannt gemacht werden:
Erst dann sind Unternehmen keine Opfer, sondern Schöpfer und Gestalter des Digitalen.FÜHRUNG
Beziehungen statt Bytes:
Digitale Transformation ist eine Frage der Führung, nicht der Technologie.INNOVATION
Playful Innovation:
Wirklich Neues entsteht durch Spiel- und Freiräume und durch Ausprobieren, nicht durch Aktionismus.KOOPERATION
Absolute Risikovermeidung, Eigenschutz und Abschottung sind im Zeitalter der Digitalität kaum noch hilfreich. Das Hafen-Prinzip wird wichtiger:
Ein digitalisiertes Unternehmen ist Knotenpunkt, keine in sich geschlossene Einheit.TECHNOLOGIE
[2] nach: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/digitalisierung/5-konsequenzen-die-agenda-fuer-digitale-kompetenz/
Teamplay mit der Technologie:
Die Zukunft gehört der Allianz von Mensch und Maschine.
Interessant ist dabei, dass es da so gut wie gar nicht um Technik oder Tools oder Prozesse geht, sondern auch hier um eine kluge Kombination von Haltung und Verhalten.

Bild: V. Lévesque
Eine meiner persönlichen Leitlinien ist Geschichte des Elefanten und der 4 Blinden – allerdings in einer anderen Interpretation als meist…
Die Geschichte:
Vier blinde Freundinnen und Freunde treffen sich abends im Dorf beim Bier.
Der erste Blinde hat ein breites freudiges Grinsen im Gesicht, ist ganz aufgeregt und kann vor Begeisterung kaum sprechen.
«Freunde, ich muss euch erzählen … , ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich heute erlebt habe. Es ist so klasse, ich wollte ja schon immer…»
vor lauter Freude kann er kaum seinen Satz zu Ende bringen
«ich hab jetzt endlich, ich war im Dschungel draussen und bin einem Elefanten begegnet. Ich weiss jetzt endlich, was ein Elefant ist. Ein Elefant ist wie ein Baum, stark und fest.»
Die zweite Blinde, ähnlich erfreut und aufgeregt, erzählt:
«Ich war auch im Dschungel und bin, nach so langer Zeit, schon so lange wollte ich, … ich bin auch dem Elefanten begegnet.»
ein kurzer, etwas unsicherer Seitenblick auf den Kumpel, dann:
«Ein Elefant ist wie eine Schnur, beweglich und weich.»
Die dritte Blinde, vorher noch begeistert wie ihre beiden Kumpel, ergreift das Wort:
«Sagt mal, habt ihr heute morgen schon gesoffen? Ich war auch im Dschungel und bin dem Elefanten begegnet. Ihr erzählt doch Schwachsinn, ein Elefant ist wie eine Waffe, spitz, hart und gefährlich.»
Der vierte, inzwischen stocksauer, schreit sie an:
«Hey, ihr seid nicht nur blind, ihr seid völlig blöd! Was soll denn das alles, ICH war im Dschungel. Ein Elefant ist wie ein Segel, schwingend und unstet.»
Die geneigte Leserschaft merkt:
Sie sind blind, jeder hat ein anderes Teil des Elefanten ertastet, der erste das Bein, der zweite den Rüssel, der dritte den Stosszahn, der vierte das Ohr…..
Gemeinhin wird diese Geschichte erzählt, um aufzuzeigen, dass die Realität sich nicht aus einem kleinen Teilbereich einer einzelnen Perspektive erfassen lässt – erst in der Kombination entsteht ein realitätsnäheres Bild.
Ich interpretiere die Geschichte noch anders:
Da sind vier Freunde. Die treffen aufeinander und sind begeistert, erfreut, happy, ein lang gehegter Wunsch hat sich erfüllt. Alle haben nur ihren Freunden erzählt, was sie erlebt haben, und nach wenigen Minuten sind sie nicht mehr freudig, die Begeisterung ist verflogen, Wut macht sich breit. Sie widersprechen sich zu 180 Grad. Man kann sich kaum gegenteiliger äussern – und dennoch: Niemand ist dumm, niemand ist böswillig, niemand lügt, niemand erzählt etwas Falsches – SIE HABEN ALLE RECHT.
Sie widersprechen sich und haben doch alle gleich recht.
Ich besitze eine Elefantentasse. Wenn ich arbeitsbezogen zu Sitzungen muss, in denen ich weiss, dass es schwierig werden könnte – oft sind das solche mit Planerinnen, Controllern oder Finanzlerinnen – dann schaue ich, wenn ich mich aufzuregen beginne, weil meine wunderbaren kreativen Ideen auf dem Altar der Normen, Rechenschaftslegung oder Kennzahlen geopfert werden sollen, zur Erinnerung auf meine Tasse. Und versuche das Gespräch so zu führen, dass ich erkenne, an welcher Seite des gleichen Elefanten die anderen, die auch überzeugt sind von ihrer Expertise, grade stehen und was von dort aus den Elefanten charakterisiert. Und dann zu versuchen, eine runde Lösung zu finden anstatt sich gegenseitig blöd.
Und das klingt dann doch schon wieder stark nach der agilen Kombination von Haltung, Verhalten und Handeln. Oder?