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Demokratie in Gefahr – könnte die Verwaltung Teil des Problems sein? Oder Teil der Lösung?

Demokratie in Gefahr – es ist kein originelles Thema dieser Tage. Es hat aber eben eine deutliche Aktualität und sollte einen Platz im Diskussionsraum haben. Und die öfentliche Verwaltung ist Teil des politischen Universums, um das es da geht.

«An einer Demokratie muss man arbeiten, denn sie ist kein Selbstläufer»

Man kann diesen Satz gar nicht oft genug hören und sagen. Er ist zu lesen in einem Interview des Schweizer Fernsehens SRF mit dem Politologen Daniel Kübler und so lautete auch ein Blogartikeltitel aus dem Jahr 2022. Weil er heute noch relevanter ist als damals, möchte ich hier noch einmal Auszüge daraus als Einleitung einwerfen und dann ergänzen:

«An einer Demokratie muss man arbeiten, denn sie ist kein Selbstläufer»

Quelle dieses Titels ist ein Artikel auf der Webseite des deutschsprachigen Schweizer Fernsehens SRF. /Anmerkung [1]/. Es lohnt sich sehr, ihn zu lesen. Es werden dort relevante Fragen gestellt. So wird dabei neben anderen Erkenntnissen auch deutlich, dass es sich nicht nur und hauptsächlich um geopolitische Fragen zum Thema handelt, sondern auch um systemimmanente vor der eigenen Haustür. Insbesondere in der Schweiz ist ja die Basisdemokratie und damit das das stetige Mitgestalten der eigenen Systemumgebung auch der Bürgerinnen und Bürger ein alltagspräsentes Thema.

«Studien haben gezeigt, dass die Demokratie in der Bevölkerung westlicher Länder nach wie vor beliebt ist. Die Unzufriedenheit nimmt aber zu. Denn die Art und Weise, wie gewisse Regierungen regieren, passt nicht allen.» /Anmerkung [2]/

Oder auch nicht regieren. Zu zahlreichen Themen wie Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung und andere. Staaten werden zu solchen Belangen zunehmend wahrgenommen als unfähig, die aktuellen und akuten Probleme zu lösen.

Der Graben zwischen hergebrachtem, bewährtem Vorgehen einerseits und schneller Veränderung in Technik, Gesellschaft und Politik andererseits und die Suche einem aktuellen Umgang damit ist deutlich spürbar.

Digitalisierung zum Beispiel wird nicht nur als potenzielle Überwachungsmöglichkeit wahrgenommen, wie im wenig demokratischen China. Digitalisierung zeigt auch eine gewisse Hilflosigkeit der Staaten und ihrer Institutionen im Umgang mit Innovation und Moderne in westlichen Demokratien.

«Haben wir im Westen uns so sehr an Demokratie gewöhnt, dass wir vergessen haben, wie zerbrechlich sie ist?» /Anmerkung [3]/

Teilweise ja. Demokratie hat sowas hübsch Selbstverständliches, die meisten von uns kennen ja nichts anderes.
Und dann wieder auch nein – es gibt durchaus ein Bewusstsein dafür, dass wir unsere Demokratie nicht einfach verstauben lassen dürfen. Es gibt immer mehr Initiativen, Projekte und Labore, die sich damit auseinandersetzen, wie Demokratie gestärkt, modernisiert und weiterentwickelt werden könnte.

Hier endet für den Moment der zitierte Artikel.

Aber nicht das Thema.

Da gibt es anscheinend immer mehr Politiker, die, gewählt vom Souverän, dem Volk, Verhaltensweisen entwickeln, die proklamieren:

“Ich bin gewählt, und deshalb legitimiert zu tun, was ich für richtig halte. Und ihr Verwaltung müsst es für mich tun oder ihr stellt euch gegen den Volkeswillen.“
Ein Satz, der die Verwaltungsseele mit Schauern erfüllt.

Zu Recht.

Potenziell nicht gemäss Auftrag zu handeln, geht der Verwaltung tief in ihrem Inneren gegen den Strich. Denn fürs Recht schützen und zur Umsetzung bringen existiert sie ja.
Also?
Was tut sie?

Moment.

Hier sind zwei kurze Thesen, über die wir in Verwaltungen und öffentlich auch sprechen sollten:

Erstens:
Es ist die Verwaltung da nicht einfach prädestiniertes Opfer geltungssüchtiger Politikerinnen und Politiker. Es sind nicht allein die politisch gewählten Chefinnen und Chefs der Verwaltung, die dieses Verhalten bewusst portieren.
Es ist oft auch eine Verwaltung, die mit über Jahre eingeübter Expertise alles dafür tut, dass sie keine schwierigen Entscheidungen treffen muss – und das lieber „nach oben“ weiterspielt.
Hier im Blog wurde das Stichwort ‚Zuständigkeitsfalle‘ bis hin zu ‚Organisierte Verantwortungsdiffusion der Verwaltung‘ mehr als einmal thematisiert.
Und „oben“ lernt: Ich muss alles Wichtige entscheiden, also bin ich allein wichtig…? Die Verwaltung hat einen Auftrag im Zusammenspiel der CHecks & Balances. Einen sehr wichtigen. Ebenso wichtig wie das Ausrollen sauberer amtlicher Prozesse. Wie kann sie den wahrnehmen? Darüber muss gesprochen werden in Verwaltungen. Das ist interne Entwicklungsarbeit, die immer wieder Teil des Ämterauftrages ist.

Zweitens:
Eine Verwaltung, die wortgetreu, aber sinndesinteressiert Standardprozesse und Vorgaben abspult, läuft zwar nicht Gefahr, gerügt zu werden. Aber sie ist so weder staatstragend unterwegs noch trägt sie wirksam zur Lösung von aktuellen gesellschaftlichen Problemen und Bedarfen bei. Den übergeordneten Zielsetzungen einer öffentlichen Verwaltung zu dienen, und das immer wieder neu entlang der aktuellen gesellschaftlichen Themen und Belange, die Selbstreflexion und Anpassung der Oberflächenprozesse an den tieferen Auftrag als staatstragendes Element muss Raum haben in der Verwaltungsarbeit.

Vielleicht sind das Punkte, die wichtige Weichenstellungen auf dem Weg zur Entscheidung sind, wie die Verwaltung sich aufstellt in Zeiten von gefährdeten demokratischen Systemen und Strukturen.

Nocheinmal zum Artikel von 2022 zurück:

«Wir müssen zu unseren Institutionen Sorge tragen und verhindern, dass das System umgebaut wird. Die Grundprinzipien unserer Demokratie müssen bestehen bleiben. So können wir verhindern, dass Populisten die Spielregeln ändern können.» /Anmerkung [6]/ (…)

Krisen sind immer auch ein Test für eine Gesellschaft – was will sie jetzt, was tut sie, was kann sie leisten…

Was derzeit hier in Basel passiert, mit Gruppen von Freiwilligen, die sich organisieren und sich gegenseitig zu helfen suchen mit einem unfassbar starken Wunsch danach, Solidarität zu zeigen, wirksam etwas für einzelne andere zu tun. Ohne soziale Netzwerke und “neue” Tools und Kommunikationswege wäre das gar nicht möglich. Neuland.

Vielleicht hilft uns die Krise, anschliessend – oder schon währenddessen – von einer technischen Digitalisierung zu einem neuen quasi digitalen Humanismus zu kommen? Wo der Wert und das Tun des / der Einzelnen mit ihren Talenten, Spielräumen, Beiträgen orts-und rollenunabhängig plötzlich Raum haben?

«Und die ganz spannende Frage:
Was heisst das dann für die Rolle der öffentlichen Verwaltung als Hüterin der gesellschaftlichen Rahmung, gesetzlicher und anderer gemeinwohlbezogener demokratischer Werte unter Nutzung ihrer privilegierten Situation als “Nicht-Gewinn-Ausweisen-Müssens”» /Anmerkung [7]/

Welchen Einfluss / Impact, welche Wirkung und Wirksamkeit hat die Verwaltung derzeit?

Welche sollte sie haben?

Wo sollte sie Deutungshoheit wahrnehmen können – und wie geht das?

Zu welchen Themen ist es wichtig, dass die öffentliche Verwaltung nicht den Entwicklungen hinterherläuft, sondern im Sinne der Demokratie und des Gemeinwohls die öffentliche Diskussion mit führt, vielleicht sogar anstösst, Fakten und Möglichkeiten aufzeigt und Geltendes dabei hütet?
Open Government, Open Data? Welche und wenn ja warum? Warum nicht?

Wie wichtig ist, dass sie präsent ist. Kompetenz zeigt (und nicht Bremsmacht). Vertrauen sich verdient. Mitten im Leben etwas mit den Menschen zu tun hat?

Sind solche nicht Themen und Entwicklungen, die zumindest teilweise die Handlungsfelder der öffentlichen Verwaltung im Sinne des Gemeinwohlschutzes betreffen.» /Anmerkung [8]/

Das hier ist ein Aufruf an alle, die in der öffentlichen Verwaltung, mit der öffentlichen Verwaltung arbeiten oder als Bürgerin (Männer sind klaro immer mitgemeint) immer mal mit der öffentlichen Verwaltung zu tun haben:

Bildet euch eine Meinung – individuell und als Anspruchsgruppe – dazu:

  • was die Verwaltung an Einfluss und Wirksamkeit haben soll(te).
  • wo es wichtig ist, dass die öffentliche Verwaltung für die Demokratie und das Gemeinwohl in öffentlicher Diskussion eine spürbare moderne demokratische Rolle spielt?
  • wie sie einerseits Vertrauen und andererseits Wirksamkeit gewinnen kann?
  • was euch sonst in Bezug auf die Verwaltung und ihre Rolle als zentral und wichtig erscheint.

Denn Demokratie und die Rolle der öffentlichen Verwaltung darin geht uns alle an.

Anmerkungen

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/zunahme-von-autokratien-an-einer-demokratie-muss-man-arbeiten

[2] https://www.srf.ch/news/schweiz/zunahme-von-autokratien-an-einer-demokratie-muss-man-arbeiten

[3] https://www.srf.ch/news/schweiz/zunahme-von-autokratien-an-einer-demokratie-muss-man-arbeiten

[4] https://demokratielabor.ch/de/

[5] https://www.srf.ch/news/schweiz/neue-wege-fuer-polit-mitwirkung-demokratie-im-versuchslabor-mit-40-000-probanden

[6] https://www.srf.ch/news/schweiz/zunahme-von-autokratien-an-einer-demokratie-muss-man-arbeiten

[7] https://agile-verwaltung.org/2020/04/13/die-offentliche-verwaltung-nach-corona/#more-8380

[8] https://agile-verwaltung.org/2020/09/10/wenn-die-verwaltung-bedeutung-hat-manchmal-scheint-es-glueckssache-zu-sein/

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