Die Beschreibung von Prozessen wird im Zusammenhang mit der Einführung der E-Akte vermehrt auf die Verwaltungen zukommen. Aber diese Beschreibung ist nicht einfach. Haben Sie schon einmal an einem Workshop zur Prozessanalyse teilgenommen? In dem nach vier Stunden ermüdenden Aufmalens von Flussdiagrammen eine Teilnehmerin entnervt ausruft: „Aber das stimmt doch noch hinten und vorne nicht! Die Möglichkeit, dass auch der Vertreter des Vertreters abwesend ist und der Fall bis nach Fristende völlig unbearbeitet bleibt, haben wir bislang komplett übersehen!“
Der große Aufwand, den die übliche Prozessbeschreibung macht, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die (deshalb) meist unterlassene kontinuierliche Pflege: Wenn sich am Prozess etwas ändert, wird die Beschreibung meist nicht nachgezogen. Warum? Weil niemand aktiv mit ihr arbeitet. – Aus diesen Gründen haben die Agilisten – bekannt arbeitsscheu, aber pfiffig – eine alternative Methode entwickelt: die Story Map.
Die Methode im Überblick
Ein Flussdiagramm hat den Anspruch, den Ablauf eines Prozesses mit allen Schleifen und Verzweigungen darzustellen.
Diesen Anspruch hat eine Story Map nicht.
Eine Story Map ist zuerst einmal eine Auflistung von Tätigkeiten, die grob geclustert werden. Statt langer Erklärungen ein Beispiel aus dem täglichen Leben:
Nehmen Sie den Prozess „Morgens aus dem Haus gehen“. Auslöser des Prozesses ist „Wecker klingelt“, gefolgt von der Tätigkeit „Wecker ausmachen“ (Prozessvariante: „an die Wand werfen“). Und das Ergebnis des Prozesses, sein Abschluss, ist „Haustür hinter sich schließen“.

Abbildung 1 zeigt eine Story Map von diesem Prozess. Die Tätigkeiten sind auf eine relativ grob granularen Ebene gehalten. Also „Brote für die Kinder“ und nicht
- Kühlschrank öffnen
- Küchentisch decken
- Brot schneiden
- Butter draufschmieren
- Stefan fragen, ob er heute Marmelade mag
- Usw.
Die Story Map hält sich auf der Ebene einer Checkliste, das heißt, sie wendet sich an „sachkundige“ Personen, die wissen, wie man „Brote für Kinder“ fabriziert. /1/
Prozessvarianten sind kommentarlos nebeneinander gestellt. Die Tätigkeiten „schminken“ und „rasieren“ treffen nur sehr selten auf eine Person zu – in der Regel macht man das eine oder das andere. Die Story Map meint dazu: „Wenn du einen Schritt nicht brauchst, überspring ihn halt. Du wirst schon selbst wissen, was für dich richtig ist.“
Deshalb werden auch keine Oder-Verzweigungen dargestellt. Oder-Verzweigungen sind Fragen der Art:
Ist Zahnpastatube schon wieder leer?
Wenn ja: ganz stark draufdrücken.
Noch was rausgekommen?
Wenn nein: Zum Vorratsschrank gehen.
Keine Zahnpasta auf Vorrat gekauft?
Wenn ja: Schuldigen suchen und Streit anfangen.
Usw.
Wenn ich die Tätigkeiten gesammelt habe, dann clustere ich sie. In unserem Beispiel wurden die Aktivitäten nach Zimmern geordnet, aber auch andere Methoden wären denkbar. Ziele der Clusterung sind:
- Einen besseren Überblick geben.
- Statusinformationen ermöglichen.
Eine typische Statusinformation ist: „Liebling, ich bin im Bad fertig, du kannst rein.“ Eine solche Statusinformation ist viel dichter als eine Nachricht der Form „Ich habe mich geduscht und die Zähne geputzt und auch schon rasiert“ – darum geht es ja dem Partner gar nicht. Denn das ist vergangenheitsorientiert. Was ihn interessiert ist die prozessual nach vorne gerichtete Information: „du kannst ins Bad“. Die Basis für eine solche Art der Kommunikation im Prozess wird durch Clusterung gelegt.
Ein seriöses Beispiel einer Story Map
Das Beispiel in Abbildung 2 zeigt, dass man auch Geschäftsprozesse nutzbringend mit der Methode des Story Mapping darstellen kann.

Warum Flussdiagramme nicht effizient sind
Was ist der Unterschied zwischen Story Maps und Flussdiagrammen?
- Story Maps verzichten vollständig auf die Darstellung von Verzweigungen. Es sind die Verzweigungen und Schleifenbildungen, die die Flussdiagramme so unübersichtlich machen (siehe Abbildung 3). Rechnen Sie nach: Wenn Sie einen Prozess haben, der eine einzige Oder-Verzweigung besitzt, haben Sie zwei Prozessvarianten. Wenn der Prozess zwei Verzweigungen hat, die voneinander unabhängig sind, erhalten Sie vier Varianten. Bei drei sind es schon acht Varianten usw. Jede von den anderen unabhängige Verzweigung verdoppelt die Anzahl der Prozessvarianten.
Aber: in der Realität kommen nur sehr wenige dieser hypothetischen Varianten auch wirklich vor. Wie oft ist der Vertreter des Vertreters in Urlaub? In 1/1000 der Fälle?
Der Anspruch auf „vollständige“ oder perfekte Prozessdarstellung führt dazu, dass Prozessvarianten, die fast nie vorkommen, mit der gleichen Akribie dargestellt werden wie die 95%-Fälle. Das macht unnötige Arbeit und reduziert die Übersichtlichkeit.

- Flussdiagramme richten sich an den unkundigen Betrachter. Im Kern geht es darum, Vorgesetzten, die einen Prozess nicht wirklich kennen, ihn aber überwachen wollen, einen Überblick zu verschaffen. Sie sind die visualisierte Form des Mikromanagements.

- Story Maps hingegen richten sich an Menschen, die den Prozess kennen, und sich untereinander – also „unter Eingeweihten“ – verständigen wollen. Also zum Beispiel, wie man einen Prozess standardisieren oder verbessern kann. Dafür sind sie völlig ausreichend und viel besser geeignet als Flussdiagramme.
- Beim Programmieren von Dokumentenmanagement-Programmen („E-Akte“) führen Flussdiagramme zum sog. Workflow-Ansatz. Darüber hatten wir in diesem Blog schon an anderer Stelle kritisch berichtet. /2/ Die Story Maps hingegen führen zu einem sogenannten Adaptive Case Programm, das gerade bei schwach strukturierten Prozessen wie in der Verwaltung zu viel besseren Ergebnissen führt. /3/
Bei Einführung der E-Akte kann Story Mapping nicht nur zur Verringerung des Aufwands zur Prozesserhebung eine Rolle spielen. Die Methode unterstützt auch die Steuerung eines solchen Großprojektes selbst, weil sie schnell einen guten Überblick gewährleistet. Im Seminar zur E-Akte wird das auch näher gezeigt werden: https://agile-verwaltung.org/trainings-programm-2/
Anmerkungen
/1/ Zum Unterschied zwischen Checklisten und herkömmlichen Prozessdarstellungen siehe das ausgezeichnete Buch von Atul Gawande: Checklist-Strategie: Wie Sie die Dinge in den Griff bekommen, btb, 2013. – Der Autor ist Arzt und schreibt über die Wichtigkeit von Checklisten z. B. bei wichtigen Operationen. Auf Englisch ist es unter dem Schlagwort „Checklist Manifesto“ bekannt.
/2/ Siehe https://agile-verwaltung.org/2016/04/22/statt-workflow-mythos-raus-aus-den-silos/
/3/ Zum Adaptive Case Management siehe Keith D. Swenson: Mastering the Unpredictable: How Adaptive Case Management Will Revolutionize the Way That Knowledge Workers Get Things Done, 2010.
Vielen dank für den Artikel. Ich habe die Methode gleich mal bei der Beschreibung unseres IT-Change Prozesses ausprobiert. Das ging erstaunlich schnell und einfach.
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