Löse das Problem, nicht die Schuldfrage. Sprichwort aus China
Eine allzu menschliche Falle, die wir alle kennen: Etwas geht schief und im ersten Moment suchen wir nach einem Schuldigen. Aber ist damit das Problem und seine Ursache gelöst? Nein, natürlich nicht. Das Problem bleibt bestehen. Aber wir haben jetzt einen Sündenbock und müssen uns nicht weiter anstrengen.
Kultur der organisierten Unverantwortlichkeit
Wenn wir uns darauf konzentrieren, einen Schuldigen auszumachen und diesem scheinbar die Verantwortung zuzuschieben, bleibt nicht nur die Ursache bestehen, nein, wir tragen auch noch dazu bei, die Kultur der organisierten Unverantwortlichkeit zu erhalten, die allenthalben und schon seit Jahrzehnten immer wieder bemängelt wird. Niemand ist bereit, die Verantwortung im Sinne einer adäquaten Ursachensuche zu übernehmen. Wir kratzen bestenfalls noch an der Oberfläche der Problemursache, ohne bis zu einer echten Lösung vorzudringen. Die „Schuldfrage“ steht im Fokus, nicht die Frage nach der Problemlösung. Entsprechend wird die „Schuld“ fleißig herumgereicht.
Das fällt nicht in meine Zuständigkeit!

Niemand übernimmt wirklich die Verantwortung, in dem er den Ursachen auf den Grund fühlt und Lösungen entwickelt. Warum auch. Nein, das fällt örtlich, fachlich, sachlich nicht in meine Zuständigkeit. Dafür ist der Fachbereich X zuständig. Der wiederum aber erklärt sich ebenfalls nicht für zuständig, da es auch nicht in sein Gebiet fällt, und reicht den schwarzen Peter wiederum an den nächsten weiter. Bis irgendwann vielleicht irgendjemand sich ans Herz fasst und den Schuh anzieht. Wenn nicht? Auch nicht schlimm. Erleichtertes Aufatmen. Wir haben es weg und müssen uns nicht näher damit befassen. Und wir stehen gut da. Schließlich waren wir nicht zuständig, also können wir auch nichts falsch gemacht haben.
Wenn sich aber niemand damit befasst und sich niemand traut hinzustehen und zu sagen, hier läuft etwas aus dem Ruder, wie wollen wir dann dem Ganzen auf dem Grund gehen und die Ursachen beseitigen? Nicht gut.
Problemursachen findet mensch nicht knapp unter der Oberfläche
Fehler machen Schwächen und Versagen sichtbar. Dieses Versagen ist aber in den seltensten Fällen ein persönliches Versagen, wie eine einfache Schuldzuweisung nahe legen würde. Die Ursachen für das Problem liegen tiefer und sind zumeist losgelöst von der Person. Häufig sind sie sogar strukturell bedingt. Wenn wir verhindern wollen, dass ein Problem wieder auftritt, müssen wir daher tiefer bohren. Wir müssen fragen, wie es zum Problem kommen konnte. Wir müssen fragen, warum jemand eine Fehlentscheidung getroffen hat. Was sind die Faktoren, die einwirken. Und wir dürfen uns nicht mit der ersten simplen Antwort zufriedengeben. Problemursachen findet mensch nicht knapp unter der Oberfläche, sondern tief im Boden – dort wo die Wurzeln sitzen. Wer sich auf einen Schuldigen stürzt und diesen zum Sündenbock erklärt, der geht den reinen Weg der Bequemlichkeit und lehnt Verantwortung ab.
Erfahrungsgemäß zeigt sich – wenn wir tiefer nach den Problemursachen fragen – dass der vermeintlich Schuldige lediglich nur der „arme Sündenbock“ ist, der den Kopf für ein Symptom hinhält, dessen Ursachen seiner Einflusssphäre weitgehend entzogen sind. Statt also Zeit und Energie auf der Suche nach dem Schuldigen zu verschwenden, sollten wir als verantwortungsvolle Menschen uns dem Problem stellen, in dem wir den Ursachen nachstellen. Tief bohren. Statt den vermeintlich Schuldigen „hinzurichten“ sollten wir ihn uns zum Verbündeten machen und sein „Wissen“ in die Fehlersuche einbeziehen. Aber wie kommen wir dort hin?
Kleine Anregung: Fehler feiern!
Ich bin nicht entmutigt,
weil jeder als falsch verworfene Versuch ein weiterer Schritt vorwärts ist.
Thomas Alva Edison
Fehler feiern? Das mag den Einen oder Anderen überraschen.Ja, es ist provokant. Aber ich bin der Meinung, dass wir Fehler feiern sollten. Fehler sind gut. Aus Fehler können wir lernen. Fehler decken Schwächen auf, Fehler ermöglichen Innovation, und Fehler erweitern unseren Erfahrungsschatz. Fehler geben uns Hinweise darauf, was wir verbessern können. Und genau deswegen gilt: Feiert Fehler! Bringt sie aufs Tapet. Ermutigt, Fehler zuzugeben. Ermutigt, Fehler als etwas Gutes anzusehen. Wenn wir Fehler als „Lehrstück“ feiern, nehmen wir die Angst davor, Fehler zu machen. Und diese Angst lähmt. Sie lähmt uns. Sie lähmt unsere Mitstreiter. Sie lähmt die Innovation.
Von Thomas Edison, der berühmten Erfinder, ist überliefert, dass er seine Mitarbeiter angehalten hat, zu experimentieren. Wenn etwas zu Bruch ging, sah er dies nicht als Fehlschlag an. Er sah darin die Chance, etwas Neues zu lernen und vorwärtszukommen. Fehler hat er als Quelle für Innovation angesehen – weil wir aus ihnen lernen können, wie wir Dinge besser machen. Versuch und Irrtum machen klug. Wer einen Fehler macht und ihn zugibt, darf nicht sanktioniert werden, sondern muss gefeiert werden. Denn derjenige hat Mut bewiesen, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, und noch mehr Mut bewiesen, zuzugeben, dass etwas nicht funktioniert hat, wie erhofft. Und er hat daraus Erkenntnisse gewonnen. Erkenntnisse, die auch für andere wertvoll sind. Erkenntnisse, die uns näher an die Lösung führen.
Und was hat das mit Agilität zu tun?
Und jetzt kommt die Frage der Fragen. Was hat dies alles mit Agilität zu tun? Und die Antwort lautet: sehr viel. Sämtliche agile Methoden zeichnen sich durch ein empirisches Vorgehen aus, bei dem Versuch und Irrtum eine treibende Kraft in der ganzheitlichen Fortentwicklung des „Projekts“ darstellen. Review und Retrospektiven in den Sprints, die ausgeprägte Eigenverantwortung in selbstorganisierten Teams sind wesentliche Elemente zum Beispiel bei der Herangehensweise von Scrum. Das alles kann nur funktionieren, wenn das Team im oben beschriebenen Sinne Verantwortung übernimmt. Im Lean Management gibt es dafür eine treffende Philosophie, eine Grundhaltung, die unter dem Stichwort Kaizen zusammengefasst wird. Übrigens ein ganzheitliches Verständnis, das weit über den damit häufig assoziierten Begriff des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses hinausgeht.
Lieber Herr Michl,
vielen Dank für den guten Impuls, er kommt für mich genau zur rechten Zeit, eineinhalb Stunden, bevor ich eine wichtige Besprechung zu einem Vorfall mit einem sehr gefährlichen Fehler habe. Ich fühle mich in meiner geplanten Vorgehensweise sehr bestätigt.
Herzliche Grüße
Daniela Schweitzer
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