Neulich wurde ich eingeladen, an einer Tagung zum Thema ‚Resilienz‘ agile Handlungsformen vorzustellen. Zuerst war ich überrascht. Passt so was wie „Agiles Arbeiten in nicht-agilen Umwelten“ zum Thema Resilienz?
„Resilienz (von lateinisch resilire ‚zurückspringen‘ ‚abprallen‘) oder psychische Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Mit Resilienz verwandt sind Entstehung von Gesundheit (Salutogenese), Widerstandsfähigkeit (Hardiness), Bewältigungsstrategie (Coping) und Selbsterhaltung (Autopoiesis).
Das Gegenteil von Resilienz ist Verwundbarkeit (Vulnerabilität).[1]“
Naja. Irgendwie schon. Also teilweise. Nicht ganz widersprüchlich. Aber was soll ich Menschen, die auf eine Tagung zur Resilienz in der Arbeitswelt kommen, anbieten? Was stellen die sich vor, dass da behandelt wird? Können agile Methoden zu Resilienz beitragen?
Immerhin hatte ich in einer vorhergehenden Veranstaltung das Thema umschrieben mit: „Viele Anforderungen an Organisationen verändern sich derzeit spürbar. Zahlreiche Themen und Projekte wollen einfach nicht in die gewohnte Struktur passen. Sie sind nicht eindeutig einer Zuständigkeit oder Organisationseinheit zuzuordnen. Zuweilen führt das dazu, dass sie im Rahmen der Organisation, wie sie ist, kaum zu bewältigen sind. Viele dieser Themen werden als ‚zusätzlich‘, als ,nicht zur Aufgabe gehörend‘ oder einfach als ‚speziell‘ wahrgenommen. Sie sind vielleicht neu oder komplex und sie bewegen sich im Querschnitt verschiedener Bereiche. Dabei übersehen wir manchmal, dass diese Themen gekommen sind, um zu bleiben. Und dass das Aufscheinen neuer Anforderungen voraussichtlich nicht aufhören wird, sondern immer stärker unseren Alltag prägt. Vielleicht können agile Arbeitsweisen hier etwas Linderung verschaffen.“
Könnte es also sein, dass wir uns mit agilen Haltungen und Methoden auf einem Weg zur Linderung von Vulnerabilität bewegen und damit durchaus Resilienz ein inneliegendes Thema ist?
Wir funktionieren ja oft nach der Maxime, dass, wer gut ist, vorausdenkt, weiss wie es geht, nach allen Regeln der Kunst plant, die bewährten Standards anwendet – und dann, weil er/ sie ja gut ist, nix mehr dazwischenkommt….. Und wenn das jetzt in vielen Fällen so gar nicht mehr zutrifft? Dann trifft uns Versagensangst, Unsicherheit, Verwirrung. Die vertrauten Bewältigungsstrategien werden unzuverlässig. Das zieht – zunächst professionell, aber dann auch persönlich – schon mal den Boden unter den Füssen weg. Da ist Resilienz plötzlich durchaus wichtig.
Ich suche weiter:
„Wir befinden uns in einer dieser Übergangsperioden, wo das Alte langsam auseinanderfällt, aber sich das Neue noch nicht geformt hat.
In diesen verwirrenden Zeiten stützen sich manche noch stärker auf die bestehenden Perspektiven und Glaubenssätze und versuchen, die veralteten Methoden immer verzweifelter anzuwenden. Andere können versuchen zu beginnen, Lösungen suchen, die zuvor nicht zugänglich waren.“
nach: F. Laloux ‚Reinventing Organizations visuell‘
„Verunsichert sind aber beide Gruppen ….“ V. Lévesque
„Kernelemente einer resilienten Gesellschaft nach Edwards sind
- Robustheit („robustness“), d.h. die Fähigkeit eines Systems, Belastungen standzuhalten;
- Redundanz („redundancy“), also die Existenz alternativer Möglichkeiten zur Erfüllung lebenswichtiger Aufgaben eines Systems;
- Einfallsreichtum („resourcefulness“) im Sinne der Fähigkeit eines Systems zur kreativen Reaktion auf ein Schadenereignis;
- Schnelligkeit („rapidity“), d.h. die rasche Reaktions- und Regenerationsfähigkeit eines Systems im Katastrophenfall.
Robustheit und Redundanz gehören zu den Faktoren der Schadensbegrenzung und Vorsorge, während Einfallsreichtum und Schnelligkeit den Phasen der Krisenreaktion und der Erholung zugeordnet werden.[2]“
Ah, jetzt ja, eine Insel…
Mit Belastungen mithilfe von kurzen Rhythmen, kooperativer Visualisierung, greifbaren Teilprodukten und als Teil eines diversifizierten Teams mit Bewegungsfreiheit umzugehen (Robustheit), das können agile Methoden.
Offenheit zulassen für die ausprobierende Suche nach Lösungen und alternativen Möglichkeiten (Redundanz) auch. Und das nicht zwingend allein und mit ‚best practices‘ oder „Standards, damit es allgemeingültig immer gleich ist“ als empfundene Endgegner konfrontiert, sondern als Teil eines Teams, das das vorliegende Anliegen oder Problem gemeinsam einkreist und aus verschiedenen Ecken beleuchtet.
So lassen sich auch kreative Reaktionen auf Anforderungen situationsgerecht in agilen Settings durchaus kraftvoll entwickeln (Einfallsreichtum).
Und wenn ein System eine gewisse Umgangsroutine gewonnen hat, dann könnte auch Schnelligkeit (und damit ist nicht unbedingt Schnelligkeit der gefundenen Lösung gemeint) in der selbstaktiven und nicht ohnmächtigen, sondern der tätigen Bearbeitung von Handlungswegen durchaus realistisch werden.
Agilität ist neben Methoden manifestiertermassen ja auch Haltung:
- Dass Individuen und Interaktion noch höher gewichtet werden als (standardisierte) Prozesse und Tools.
- Dass dem aktiven Lösen eines gegebenen Problems noch mehr Wert zukommt als der lückenlosen Rechtfertigungsdokumentation des Aktenvorgangs.
- Dass Zusammenarbeit eine noch grössere Rolle spielt als Verträge und Standards.
- Und dass das Reagieren auf Veränderung noch mehr Power hat, als das Befolgen eines Plans.
Das hat Einfluss auf die Rolle des Einzelnen. Soll helfen, adäquate Entscheidungen im richtigen Moment im richtigen Kreis zu fällen. Es gibt die Möglichkeit, an Fehlern nicht zu scheitern:
„ich habe – oder schlimmer: du hast es schlecht gemacht“
und dort zu stagnieren, sondern
„so kam nicht genau raus, was wir wollten, wie probieren wir es jetzt?“ handlungsbereit und ‚responsive‘ zu bleiben.
Aus Irrtümern neue Lösungswege abzuleiten und weniger abhängig zu sein von generalisierten Vorerfahrungen und „von der Stange-Lösungen“, die uns eine theoretische Sicherheit geben wollen. Uns aber, wenn sie nicht greifen, ziemlich machtlos und handlungsunfähig in der Krise stehen lassen.
Also: agiles Handeln als Krisenpräventionshaltung, als Coping-Hilfe, als Ressourcenpooling, als Antwortfindungshilfe und als Möglichkeit, nicht eher passiv ausführend und Resultate ertragend sondern erarbeitend und selbstwirkend im Sparring mit unbekannten und unerwarteten Situationen zu wirken. Hat mit Resilienz zu tun.
*atmettiefdurchundstrafftresilientparatdieSchultern*
Und nun vorfreue ich mich auf meinen ‚agil resilient Workshop‘ :-).
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[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie) abgerufen am 14.02.2018
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Soziologie) abgerufen am 14.02.2018
Gänsehaut. Ich finde einer der besten Artikel, die wir hier lesen durften. Danke!
Ich kannte den Begriff der Resilienz bis vor 6 Jahren gar nicht, bis mir meine Tochter Wiebke, gelernte Ergotherapeutin, den Blog-Artikel Resilienz – Probleme meistern schenkte, der mir doch zeigte, wie wichtig eine gute Resilienz für Mensch ist. Wer als kleines Kind nicht genügend scheitern durfte und dabei schnell die Krone richten und weiter konnte, der hat es im Erwachsenenleben ziemlich schwer. Und hier kommt dann auch gleich der Bogen wieder zur Haltung in einer agilen Welt: das Team richtet auf, aber auch die Umgebung um das Team: Scheitern gehört zum Erfahrung machen. Übrigens steckt auch in diesem Wort Erfahrung so viel drin: früher gingen Gesellen auf die Fahrt, um sich zu erproben. Am Ende waren sie sprichwörtlich er-fahren 🙂
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Jetzt hab ich auch Gänsehaut – denn mit noch keinem Artikel ist mir der Anfang und der Zugang bisher so schwer gefallen. Ich kam über das Gefühl, ich bring das Thema nicht zu Boden, resp. auf die Leinwand, lange nicht rüber. Und jetzt kommt so eine Reaktion…. 🙂
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Dein Post gefällt mir gut. Du lässt uns an der Entwicklung deiner Gedanken teihaben und trittst nicht als Sofort-alles-schon-Blickende auf – die Schreibmethode entspricht dem Inhalt. Und du unterstreichst, dass das Team bzw. das System agile Maximen definieren muss in Form von Erlaubnissen („es ist erlaubt, an Fehlern nicht zu scheitern“). Die agilen Standards als fester Boden unter den Füßen des Einzelnen spielen, glaube ich, einer immer größere Rolle in unserer „Gesellschaft der Singularitäten“.
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