Die öffentliche Verwaltung schließt, wenn sie ein Dokumentenmanagementsystem beschafft, einen privatrechtlichen Vertrag auf Basis des BGB ab. In vielen Fällen wird kein individueller Vertrag erstellt, sondern beide Vertragsparteien greifen auf Musterverträge zurück, den sog. Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen, kurz EVB-IT. Es gibt Musterverträge für unterschiedliche Situationen wie Beschaffung, Softwareerstellung oder Service. Es gibt noch kein Vertragsmuster für agile Projekte. Brauchen wir dafür ein eigenes Muster oder können wir uns mit den bestehenden Verträgen helfen?
Warum sind agile Verträge nützlich?
Hinweis: Es geht in diesem Beitrag um vertragliche und rechtliche Grundlagen. Wenn Sie nicht verstehen, was hier beschrieben ist, fragen Sie bitte Ihren Rechtsanwalt oder Ihre Rechtsabteilung um Rat. Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung.
Gehen wir davon aus, dass wir einen Vertrag für die folgende Situation schließen wollen: eine Organisation aus der öffentlichen Verwaltung möchte für ihre Mitarbeiter eine neue Software kaufen. Es gibt einen Lieferanten für diese Software. Die Software soll vor Ort installiert und auf die Bedürfnisse der Anwender angepasst werden. Die Software wird für verschiedene Geschäftsprozesse von einer bedeutenden Anzahl von Anwendern genutzt. Die Nutzung ist nach der Projektphase für alle Betroffenen verbindlich.
Im Teamworkblog haben wir mit Hilfe des Rautenmodells erklärt, dass es in Situationen größerer Unsicherheit keine Wahrheit gibt . In unsicheren Situationen kann der Auftraggeber nicht 100%ig spezifizieren, was er möchte. Hadar Ziv hat sich das genauer angesehen und dazu einen Beitrag veröffentlicht /1/. Die Kernaussage ist, dass Spezifikationen niemals vollständig verstanden werden können („Ziv’s Law“). Peter Wegner hat einen Betrag veröffentlicht, in dem er beschreibt, dass sich interaktive Systeme nie vollständig durch Algorithmen beschreiben und damit auch nicht vollständig testen lassen („Wegner‘s Lemma“) /2/.
Was bedeutet das für einen Vertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer? Der Auftraggeber könnte versuchen, das Risiko vollständig auf den Auftragnehmer zu übertragen. Er schlägt einen Werkvertrag vor. Irgendwo gibt es eine Stelle, die besagt, dass der Auftragnehmer der Spezifikation zustimmt und dass er das Werk liefern kann.
Der Auftragnehmer wiederum könnte versuchen, das Risiko vollständig auf den Auftraggeber zu übertragen. Er schlägt einen Dienstvertrag vor. Irgendwo gibt es eine Stelle, die besagt, dass der Auftraggeber den Auftragnehmer so lange bezahlt, bis die Software einsatzbereit ist.
Beide Vertragsparteien werden nur mit Werk- oder nur mit Dienstvertrag nicht glücklich. Sie passen nicht zur unsicheren Ausgangslage. Daher versuchen wir es mit einer Kombination auf Basis des EVB-IT.
Was ist EVB-IT?
EVB-IT steht für „Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen“. Vertreter aus der Industrie und aus der Verwaltung haben Vertragsmuster für verschiedene Situationen erstellt.
Jeder kann diese Muster kostenlos von der Webseite der Bundesregierung herunterladen: https://www.cio.bund.de/Web/DE/IT-Beschaffung/EVB-IT-und-BVB/evb-it_bvb_node.html
Auf der gleichen Seite gibt es eine Entscheidungshilfe, wann welches Muster benutzt wird.
Der Vorteil ist, dass viele Verwaltungen und Lieferanten diese Vertragsmuster bereits kennen. Sie brauchen für ihre Projekte keinen individuellen Vertrag erstellen.
Der Rahmendienst-Sprintwerkvertrag
Für ein Projekt mit unsicherer Ausgangslage benutzen wir eine Kombination aus Dienst- und Werkvertrag. Für die Zusammenarbeit einigen sich beide Vertragsparteien auf Scrum. Die folgende Abbildung zeigt die Vertragskonstruktion im Überblick.

Sie besteht aus folgenden Komponenten:
- Ggf. einigen sich die Vertragsparteien bereits vor Projektbeginn auf den Kauf einer Software. Der Kauf kann nach dem Muster „EVB-IT Überlassung Typ A mit Pflege“ geregelt werden. Wichtig ist, dass beide Parteien klären, zu welchem Zeitpunkt die volle Anzahl von Lizenzen gezählt wird und ab wann die Wartung gilt. Idealerweise gibt es eine Rückabwicklungsklausel, falls man im Projekt merkt, dass die Software völlig ungeeignet ist.
- Für die Bereitstellung der Experten (auf Auftragnehmer- UND auf Auftraggeberseite) wird ein Dienstvertrag nach dem Muster „EVB-IT Dienstleistung“ geschlossen.
- Für die werkvertraglichen Regelungen im Allgemeinen nutzen die Vertragsparteien das Muster „EVB-IT Erstellung“.
- Jede Sprintplanung legt die konkrete Lieferung eines kleinen Werks fest. Das Protokoll der Sprintplanung dient als Auftrag.
- Für den Service schon während der Einführungsphase (für die ausgelieferten Produktinkemente) wie auch nach dem Projekt sind die im Kaufvertrag vereinbarten Konditionen maßgeblich.
Das vollständige White Paper mit Anleitung zum Anpassen der EVB-IT-Verträge findet ihr hier zum Download.
Seminar zum Thema
Am Dienstag, 17.07.2018 führt die Akademie Agile Verwaltung in Frankfurt ein Seminar „Die E-Akte agil einführen“ durch. Dabei wird auch der agile Rahmendienst-Sprintwerkvertrag erklärt.
Nähere Informationen im Flyer: FLYER AAV ‚Die eAkte agil einführen‘
Anmerkungen
- /1/ Ziv, Hadar, Debra Richardson, and Rene Klösch. „The uncertainty principle in software engineering.“ submitted to Proceedings of the 19th International Conference on Software Engineering (ICSE’97). 1997.
- /2/ Wegner, Peter. „Why interaction is more powerful than algorithms.“ Communications of the ACM 40.5 (1997): 80-91.