
„Was hat Lean Management, agile Methoden und Unternehmensdemokratie – das verträgt sich doch alles nicht mit einem öffentlichen Auftrag“, war vor nicht allzu langer Zeit eine Aussage, die zu hören bekam, als ich in einem Gespräch auf das Forum Agile Verwaltung gekommen bin. Ist dem wirklich so? Wir vertreten beim Forum Agile Verwaltung eine gegensätzliche These und meinen sogar, dies unmittelbar aus der Praxis untermauern zu können. Anhand einer typischen öffentlichen Aufgabe wohlgemerkt: den Feuerwehren. Die Feuerwehr gehört zu den kommunalen Pflichtaufgaben (entsprechende landgesetzliche Regelungen in den jeweiligen Bundesländern – die sogenannten Feuerwehrgesetze regeln diese). Damit gehört die Feuerwehr zu den Aufgaben, die eine Stadt oder Gemeinde erfüllen muss und auch tatsächlich auf sehr hohem Niveau in aller Regel erfüllt. Und was noch viel erstaunlicher ist, die Kommunen erfüllen die Aufgabe mit Freiwilligen Feuerwehren, die sich dabei auf Freiwillige, soll heißen: ehrenamtlich tätige Männer und Frauen, stützen, die hierfür ihre Freizeit opfern.
Schauen wir uns einmal die Freiwillige Feuerwehr näher an. Was nämlich vielen gar nicht bewusst ist, sind eben diese ein Lehrstück dafür, wie öffentliche Aufgabenerfüllung mit den Ideen agiler Verwaltung harmoniert. Auf den ersten Blick haben wir es bei den Freiwilligen Feuerwehren mit straffen und hierarchischen Strukturen zu tun. Doch der Eindruck täuscht.
Klare Vision
Feuerwehren haben eine klare Vision ihres Auftrags, den sie auf eine einfache Formel bringen: Retten – Löschen – Bergen – Schützen. Jeder Produkteigentümer eines Scrumteams könnte blass vor Neid werden bei einer solch griffigen Vision. Diesen Auftrag nehmen die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren sehr ernst, sonst wären sie wohl kaum bereit, einen nicht gerade unerheblichen Anteil ihrer Freizeit zu opfern.
Crossfunctional und t-shaped
Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren haben durchweg eine einheitliche Grundausbildung, auf der vertiefende Lehrgänge aufsetzen, die sie zu Spezialisten bei bestimmten Themen und Aufgaben machen. Soll heißen, im Grundsatz kann jedes Mitglied ein anderes Mitglied der Feuerwehr unterstützen. Wären sie ein Scrumteam, würden wir von t-shaped sprechen: breite Basis mit Spezialkenntnissen. Jede Feuerwehreinheit ist so aufgebaut, dass sie die ihr zugedachte Aufgabe erfüllen kann. D. h. alle zur Erfüllung des Auftrags notwendigen Kenntnisse sind im Team vorhanden (ganz so, wie wir es uns von agilen Teams wünschen).
KVP und Kaizen
Werfen wir einen Blick auf die Ausrüstung und das Training, erinnert vieles an Lean Management. Sämtliche Prozesse, Abläufe sind darauf ausgerichtet, dass im Bedarfsfall keine unnötige Zeit verschwendet wird. Jeder Handgriff muss sitzen, jedes Hilfsmittel, jedes Werkzeug hat seinen festen angestammten Platz. Abläufe, Handgriffe werden ständig trainiert, optimiert. Im Einsatz zählt jede Minute. Entsprechend muss die Routinearbeit selbst im Schlaf sitzen.
Aber dabei wird es nicht belassen: Nach jedem Einsatz, nach jeder Übung wird darüber offen gesprochen, was der Einzelne und das Team verbessern kann. Wer dabei jetzt an KVP und Kaizen denkt, liegt nicht falsch. Es erinnert sehr an Lean Management, was hier praktiziert wird. Noch dazu, dass sich dabei alles an der Vision – Retten – Löschen – Bergen – Schützen ausrichtet.
Lean bei den Kernprozessen, agil im Einsatz
Dass die Freiwillige Feuerwehr höchst agil ist, beweist sie im Einsatz. Sicherlich werden einige einwenden, dass es bei Feuerwehren eine klare Kommandostruktur gibt. Richtig! Aber auch in einer agilen Organisation gibt es ein Management, das die Rahmenbedingungen definiert, die verschiedenen Teams koordiniert und die strategischen Prioritäten festlegt.
Kein Feuerwehrkommandant und kein Einsatzleiter wird seinen Löschtrupps bzw. Einsatzteams im Detail vorschreiben, was sie just in dem Moment zu tun haben, wenn sie sich dem Brandherd nähern. Er konzentriert sich darauf, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es braucht, dass die Feuerwehrleute agieren können. Die Führung konzentriert sich darauf, dass die Mannschaften effizient und effektiv, ungestört ihre Arbeit machen können. Sie können sich voll und ganz auf den ihnen gestellten Auftrag konzentrieren, während andere im Hintergrund auftretende Hindernisse beseitigen.
Die Feuerwehrleute vor Ort entscheiden eigenständig über das Wie. Der Einsatzleiter oder Kommandeur bestimmt das Was. Insofern agieren Feuerwehren selbstorganisiert – agilen Teams gleich.
Das unternehmensdemokratische Moment
Dass die Arbeits- und Vorgehensweise von Freiwilligen Feuerwehren Elemente besitzt, die an Lean und Agile erinnern, konnten wir bereits zeigen. Aber es fehlt noch ein Element, welches wir bisher ausgeklammert haben: das unternehmensdemokratische Element. Wenn Sie dachten, dass der Feuerwehrkommandant einer Gemeindewehr einfach so bestimmt wird, irren Sie sich gewaltig. Die Feuerwehrgesetze aller Bundesländer kennen vergleichbare Regelungen, wie das Feuerwehrgesetz Baden-Württemberg in § 8 Absatz 2:
(…) Der ehrenamtlich tätige Feuerwehrkommandant und sein Stellvertreter oder seine Stellvertreter werden aus der Mitte der Einsatzabteilungen durch die Angehörigen der Einsatzabteilungen der Freiwilligen Feuerwehr der Gemeindefeuerwehr, die Abteilungskommandanten und deren Stellvertreter durch die Angehörigen der jeweiligen Einsatzabteilung aus deren Mitte auf die Dauer von fünf Jahren in geheimer Wahl gewählt und nach Zustimmung des Gemeinderats zur Wahl durch den Bürgermeister bestellt. (…)
D. h. die Führungsebene der Feuerwehr wird durch die Mitglieder der Feuerwehr und den Gemeinderat aus den eigenen Reihen bestimmt. Noch dazu mit einer befristeten Amtszeit von fünf Jahren. Hier taucht das unternehmensdemokratische Element auf. Führungskräfte werden gewählt! Interessanterweise arten diese Wahlen in aller Regel kaum in Wahlkämpfe aus. Ganz im Gegenteil. Oft herrscht eine hohe Einigkeit innerhalb der Feuerwehren, wer in der Lage ist, die Aufgabe am ehesten auszufüllen. Das mag daran liegen, dass wir es hier mit einer „homogenen“ Struktur zu tun haben. Jeder verfügt über die gleiche Basis, ist sich der Verantwortung bewusst und hat ein hohes Interesse daran, dass die Führungsstruktur in der Lage ist, im Krisenfall adäquat zu reagieren. Und dass es funktioniert, das beweisen die Freiwilligen Feuerwehren tagtäglich aufs Neue.
Fazit
Es ist uns hoffentlich gelungen zu zeigen, dass sich die Ideen agiler Verwaltung durchaus mit der öffentlichen Aufgabenerfüllung vertragen. Ja, sogar in Teilen unbewusst bereits Teil des Alltags sind. Was hindert uns daran, diese Idee auch in die Kernverwaltung zu tragen?
Prima Artikel, der mir meine (Piloten-Ausbildungs-) Zeiten auf dem Flugplatz in Erinnerung ruft, in denen ich ehrenamtlich die Flughafenfeuerwehr unterstützen „musste“ – eher als Geschenk: durfte! – und seinerzeit schon so viel lernen konnte, was mir heute im Kontext Agile, Lean, Organisationsstrukturen und Entwicklung, Kommunikationsstrukturen, Teambuilding und Teamspirit, etc., immer wieder spontan gern auch als Beispiele z.B. in Workshops zu Gute kommt.
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Hat dies auf pro organisation rebloggt.
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