Agiles Management: die drei Anwendungsfelder agiler Transformation

In letzter Zeit erhalten wir die eine oder andere Anfrage von Führungsgremien in Verwaltungen, ob wir nicht einen Vortrag zum Thema „Agile Transformation einer Verwaltung“ halten könnten. Das können wir natürlich gerne. Aber ein paar erste Anhaltspunkte, was die Spielfelder einer agilen Transformation sein könnten, kann man auch schriftlich liefern.Ich habe für mich drei unterschiedliche Anwendungsfelder für Agilität in Verwaltungen identifiziert und versuche bei einem konkreten Interessenten, der zu uns Kontakt aufnimmt, immer als Erstes herauszufinden, was für seine Organisation in Frage kommen könnte.

Die drei Felder sind:

  • Agilität in der täglichen Sachbearbeitung
  • Agilität bei größeren Projekten
  • Agilität in der strategischen Planung.

Agilität in der täglichen Sachbearbeitung

Das ist für mich eigentlich die Königsdisziplin. Sie bedeutet nämlich, wirklich  grundlegend die Arbeitskultur in den Köpfen sowohl der Mitarbeiter als auch (schwieriger, denn die Köpfe sind größer und ihre Wandungen dicker) der Führungskräfte umzugestalten.

Abbildung 1: In Ängelholm machen die agilen Arenen nur einen kleinen Teil der Sachbearbeitung aus. Aber das reicht für eine komplette Änderung der DNA.

Die einzige Verwaltung, die das konsequent und – nach unserem Eindruck – erfolgreich realisiert hat, ist nach wie vor Ängelholm in Schweden.

Kernstück der Ängelholmer Transormation ist das Konzept der „Arena“. Eine Arena ist ein cross-funktionales Team mit einer konkreten Aufgabe und einer begrenzten Zeitressource. Es setzt sich aus verschiedenen Fachleuten zusammen, die gemeinsam alle nötigen Kompetenzen mitbringen, um Lösungen für eine bestimmte Aufgabe zu finden.

Das heißt, die Arena hat zwei Arten von Kompetenzen:

  1. die fachlichen Kenntnisse, um tragfähige Lösungen zu finden;
  2. die Entscheidungskompetenzen, um sich verbindlich auf eine der möglichen Lösungen zu verständigen.

Arenen werden nicht für interne Organisationsaufgaben gebildet, sondern nur im Rahmen der Kernprozesse. Bedingung ist, dass ein Sachbearbeiter oder eine Abteilung vor einer Aufgabe steht, die er oder das einzelne Sachgebiet / Abteilung nicht alleine lösen kann, sondern wofür die Kooperation anderer Ämter oder Dezernate oder auch  externer Experten nötig ist.

Solche Fälle können sein:

  • ein besonders komplexer Fall der Jugendhilfe (ein Kind hat Schulprobleme, sein Vater ist drogenabhängig und die Mutter arbeitslos; eine gemeinsame lösungsorientierte Erörterung des Falles verschiedener Ämter und auch der Polizei und auch das Ausprobieren verschiedener Lösungswege ist besser als isoliertes Arbeiten der verschiedenen Beteiligten nebeneinander her);
  • Aufgabenstellungen aus der Stadtentwicklung (vor einer Schule gibt es          Verkehrsprobleme. Die Verhältnisse am Morgen, wenn die Schüler zur Schule kommen, sind nicht optimal. Viele Betroffene sollen in die Lösungssuche einbezogen werden: Schüler, Eltern, Sicherheitsdienst, die Busgesellschaft und Grundstückseigentümer. Das ist Aufgabe einer Arena.)

Das Interessante an Ängelholm ist: dort wurde nicht die gesamte Sachbearbeitung auf den Kopf gestellt. Es gibt ein dreistufiges Modell:

  1. ein Service-Center, vergleichbar dem deutschen Bürgerbüro, aber mit dem Anspruch, 70% der Bürgeranliegen sofort abschließend zu bearbeiten.
  2. die klassische Sachbearbeitung, in der fast alle anderen Anliegen bearbeitet werden.
  3. als zusätzliche, neue Arbeitsform eben die Arenen, die aber schätzungsweise (Statistiken liegen noch nicht vor) 1-2 Prozent der Fälle ausmachen.

Aber diese geringe Fallzahl reicht aus, die ganze Arbeitshaltung der Verwaltung zu ändern. Das konnten wir praktisch beim Besuch der FAV-Delegation im April 2016 erleben. Und die Teilnehmer unserer Jahreskonferenz „Agile Konferenz 2018“ erhielten auch einen spannenden Eindruck davon, als Sofia  Glantz und Malin Thorsén dort die Keynote hielten.  Um das zu verstehen, halte ich mir immer das Bild des  Erbguts von Mensch und  Schimpanse vor Augen. Beide DNA-Sequenzen unterscheiden sich nur in ca. 1,44%  der Basenpaare. Trotzdem ist der Unterschied gigantisch. Man muss bei einer Agilen Transformation nicht alles auf den Kopf stellen, wenn man seine Organisation umgestalten will.

Agilität bei größeren Projekten

Die meisten unserer Interessenten, die sich mit konkreten Anliegen an uns wenden, kommen aus dem Projektmanagement.  Die Projekte werden komplexer, der Finanz- und der zeitliche Rahmen ist oft eng, und viele Projektleiter stellen sich die Frage: Können agile Methoden helfen, uns den Projekterfolg zu sichern?

Abbildung 2: Die Rollen in Scrum setzen auf Dezentralisierung der Entscheidungen, um die Geschwindigkeit im Projekt zu garantieren

Die am besten bewährte Methode für agiles Projektmanagement ist Scrum. Scrum ist eine sehr anspruchsvolle Methode; und weil sie ursprünglich für die Softwareentwicklung konzipiert wurde, muss man sie in einigen Hinsichten an Projekte der Verwaltung anpassen.

Aber der Grundgedanke ist der gleiche wie oben in den Arenen Ängelholms: das Projektteam versammelt alle Kompetenzen, um das Projekt zum Erfolg zu führen.

Das betrifft vor allem die Rolle des „Product Owners“. Im Unterschied zum klassischen Projektleiter entscheidet er eigenständig über die Verwendung des Budgets. Bei herkömmlichen Projekte in Verwaltungen, die über die Amtsleiter im Lenkungsausschuss indirekt in die Linie eingebunden sind, muss sich der Projektleiter dauernd deren Okay für jedes wichtigere Zwischenergebnis und jede größere Entscheidung abholen. Demgegenüber ist ein Product Owner voll verantwortlich für alle Entscheidungen. Andererseits ist über die visualisierten „Boards“ des Projekts dessen Stand und Verlauf für alle Stakeholder (also auch die Führungskräfte) zu jedem Zeitpunkt transparent. Sie dürfen sich nur nicht einmischen und das Projekt durcheinanderbringen.

Wir bieten dazu gerade aktuell ein zweitägiges Seminar an (https://agile-verwaltung.org/trainings-programm/), und diese neue Konstellation der Projektrollen ist erfahrungsgemäß die größte gedankliche Umstellung für die Teilnehmer.

Agilität in der strategischen Planung

Die Beschleunigung aller gesellschaftlichen Prozesse stellt unsere Verwaltungen vor noch nicht gekannte Herausforderungen. Das herkömmliche Denken in „Best practices“ funktioniert nicht mehr. Sowieso stellt es ja eine Wartestrategie dar: „Ich warte, bis eine andere Verwaltung etwas Brauchbares entwickelt und in ihre Praxis umgesetzt hat. Dann kann ich es für mich kopieren.“ Aber wenn alle auf alle warten oder gar auf die KGSt („Wir entwickeln Lösungen“), dann passiert gar nichts. Und auch wenn eine andere Behörde gute Lösungen probiert hat – bis ich die bei mir implementiert habe, ist es vielleicht schon zu spät, um noch richtig Nutzen zu stiften.

Wir kommen also nicht darum herum, uns selbst Gedanken zu machen. Aber das herkömmliche Planen funktioniert auch nicht mehr. Es basiert auf der Vorstellung, wir könnten irgendwie die Zukunft voraussehen. Meistens, indem wir Trends aus der Gegenwart in die Zukunft verlängern. Aber diese Trends sind nicht (mehr) stabil.

Aus diesem Dilemma wurde die Methode der „szenariobasierten Planung“ entwickelt. Für mich ist dies eine agile Kernmethode – auch wenn viele andere das nicht so sehen und sie selten im Kontext von Agilität genannt wird.

Szenarien sind keine Vorhersagen oder Prognosen, sondern Denk- und Lernwerkzeuge. Sie wollen Zukunftsbilder sein, inklusive ihrer Entwicklungspfade.  Sie werden dazu eingesetzt, Entscheidungen vorzubereiten, indem grundsätzliche Handlungsalternativen erkannt und daraufhin Strategien entwickelt werden (zu welchem man auch Prognosen und Vorhersagen heranzieht).

Das Vorgehen bei der szenarienbasierten Planung (SBP) lässt sich so kurz zusammenfassen: Führungskräfte und Mitarbeiter erstellen Zukunftsszenarien, mit deren Hilfe getestet wird, ob die wesentliche Entwicklungsrichtung der jeweiligen Verwaltung den unterschiedlichen Herausforderungen gewachsen sind, die auf die Organisation möglicherweise zukommen. Mit Entwicklungsrichtung ist die Vorstellung aller Führungskräfte (auch der Politik!) und Mitarbeiter gemeint, wann die eigene Institution erfolgreich ist:

  • Für wen erbringen wir welchen Nutzen? (output potential)
  • Welche besonderen Fähigkeiten haben wir als Verwaltung? (distinctive competencies)

SBP ist nicht mit Vorhersagen oder Prognosen zu verwechseln. Also nicht „Was wird passieren?“, sondern „Was müsste passieren, damit die Welt so aussieht?“ Die SBP akzeptiert, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Das Ziel ist nicht, Unsicherheit zu reduzieren, sondern besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein.

Abbildung 3 – Völkerschlacht bei Leipzig. Manchmal klappt ein Plan überhaupt nicht.

Napoleon hat gesagt (soweit mein Gedächtnis reicht): „Ich habe jede Schlacht minutiös vorbereitet. Und keine Planung hat die erste Stunde der Schlacht überlebt.“ Ein sehr agiler Gedanke: Pläne zu machen, um sie sofort über den Haufen zu werfen, wenn es nötig ist. Aber im Prozess des Planens die Umgebung so genau studieren, dass das Über-den-Haufen-Werfen nicht zu Chaos, sondern zu neuen sinnvollen Wegen führt.

Das ist der Kerngedanke der szenariobasierten Planung.

Weitere Blog-Artikel zum Thema

zu den Arenen Ängelholms: zum Beispiel https://agile-verwaltung.org/2017/05/26/agile-arbeitsorganisation-in-der-praxis-die-arenen-aengelholms/  Außerdem in den Konferenzergebnissen von 2018.

Zur Anwendung von Scrum: https://agile-verwaltung.org/2018/03/01/agiles-projektmanagement-in-der-oeffentlichen-verwaltung-wie-muss-scrum-angepasst-werden/

zur szenariobasierten Planung: https://agile-verwaltung.org/2017/09/21/szenariobasiertes-planen-ein-dramaturgischer-workshop-in-berlin/

 

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

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