Klimadebatte: eine neue agile Sichtweise aus den USA

Jonathan Franzen, einer meiner amerikanischen Lieblingsautoren, hat sich mit einer Stellungnahme zur aktuellen Klimadebatte gemeldet. Sein Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen und umfasst ganze 60 Seiten (Anmerkung 1). Eigentlich ist es nur der Abdruck eines Zeitungsartikels, gefolgt von einem längeren Interview. Für mich gibt nicht das Thema – die „Klimakatastrophe“ – den Ausschlag, das Buch hier vorzustellen. Das gehört sicher nicht zu meinen Kernkompetenzen. Sondern was mich beeindruckt, ist die agile Sichtweise, die Franzen zum Thema beisteuert.

Das Ganze in den Blick nehmen oder nur das, was das linke Auge sieht?

Agile Vorgehensweisen sind sehr stark gekoppelt an die Maxime „Das Ganze in den Blick nehmen.“ Ich bin von Haus aus Mathematiker, und einer der wichtigsten Grundsätze der mathematischen Logik lautet „Etwas ist entweder wahr oder falsch, ein Drittes gibt es nicht“ (Tertium non datur). Diese Regel hat mich mein Leben lang begleitet, und ich habe sie, wo immer ich konnte, in Zweifel gezogen. Die Regel hindert uns, das Ganze als Ganzes zu betrachten. Immer müssen wir es halbieren, auf die eine Hälfte reduzieren und die andere Hälfte in den Orkus verbannen.

Jonathan Franzen diskutiert mit Studierenden im 1834 Club vor seiner Vorlesung 5. März 2012 (Quelle: Anmerkung 2)

Menschliche Gruppen teilen sich sehr häufig in Lager entlang bestimmter Überzeugungen. Je stärker diese Lagerbildung ist, je ultimativer die Forderung an alle Beteiligten wird, sich gefälligst auf eine Seite zu schlagen, desto unwahrer werden beide Seiten. Und desto nötiger wird es, einen Schritt zurückzutreten und aus dem Abstand das ganze Bild zu betrachten: beide Lager sind sich ja einig über ihre Unversöhnlichkeit. Was aber ist der Grund dieser Art von Einigkeit? Und was wäre dessen Gegenteil (also „das Dritte“)?

Worin besteht der Gegensatz in der Klimadebatte?

Franzen geht in seiner Positionszeichnung so vor, dass er den Gegensatz von Klimaleugnern und Klimaaktivisten in den USA beleuchtet: „Weil die Republikanische Partei so tut, als gäbe es kein Klimaproblem, müssen die Demokraten so tun, als könnten wir es lösen…“ (Seite 47) Der wirkliche Gegensatz zwischen beiden Lagern ist deshalb nicht so sehr die Frage „Gibt es einen menschenverursachten Klimawandel oder nicht?“ – hier steht Franzen klar auf der Seite der überwältigenden Mehrheit der Wissenschaft – sondern „Kann man den Klimawandel noch stoppen, kann man das 2-Grad-Ziel noch erreichen oder nicht?“

Und diesen Gegensatz erklärt Franzen für falsch. Dieses Ziel sei definitiv nicht mehr zu erreichen. Eine sehr viel stärkere Klimaerwärmung sei unvermeidlich:

„Die Krise ist deshalb so beängstigend, weil sie auf viele Arten begriffen werden kann: als Scheitern einer Weltordnungspolitik, als Versagen, Kohlendioxidemissionen angemessen zu bepreisen, als Streit zwischen armen Nationen und reichen Nationen, als gigantisches Dilemma kollektiven Handelns, als ethisches Rätsel (wie bewertet man den Schaden, der künftigen Generationen entsteht) und so weiter. Die Klimakrise wäre schon schwer zu lösen gewesen, würde sie aus einem einzigen dieser Probleme bestehen. Wenn man aber fünf verschiedene, schwierige Probleme miteinander multipliziert, wie es der Klimawandel tut, führt das zu einem Problem, das noch so viel Intelligenz nicht lösen kann.“ (Seite 45)

In der Praxis sei keinerlei praktische Bereitschaft erkennbar, die schlimmsten Szenarien abzuwenden: „… Schauen Sie sich bitte die Liste der Länder an, die sich entschieden haben, ihren Kohlenstoff im Boden zu lassen. Es stehen keine Länder auf dieser Liste.“ (Seite 53)

Gefahr der Resignation

Franzen geht es nicht darum, die Hände in den Schoß zu legen. Ganz im Gegenteil. Er befürchtet, dass wenn allen heutigen Klimaaktivisten aufgeht, dass ihre Ziele nicht mehr zu erreichen sind, der große Katzenjammer ausbricht. Wer sich aber heute schon auf die realistisch zu erwartenden, katastrophalen Klimafolgen einstellt, kann das Machbare vorbereiten.

„Dem Klimawandel den totalen Krieg zu erklären war nur sinnvoll, solange er sich noch gewinnen ließ. (So gegen 1980, W.S.) Sobald wir akzeptieren, dass er bereits verloren ist, gewinnen andersgeartete Maßnahmen an Bedeutung. (…) Die drohende Katastrophe erhöht die Dringlichkeit von fast allem, was die Welt verbessern kann. In Zeiten des zunehmenden Chaos suchen Menschen häufig Schutz in Tribalismus und Waffengewalt statt in der Rechtsstaatlichkeit, und unsere beste Verteidigung gegen diese Art von Dystopie ist die Bewahrung funktionierender Demokratien, Rechtssysteme und Gemeinschaften. So betrachtet, kann heute alles, was zu einer gerechteren und zivileren Gesellschaft beiträgt, als bedeutsame Klimaaktion aufgefasst werden. Faire Wahlen zu gewährleisten ist eine Klimaaktion.“ (Seite 36)

Das ist ein Aufruf für uns. Die Verwaltung (im wahrsten Sinne) wetterfest zu machen („Bewahrung funktionierender Rechtssysteme“), mit agilen und anderen Vorgehensweisen dazu auszurüsten, ist Klimaschutz. Rechtsterroristische Netze, Prepper und andere, die Katastrophen zur Machtübernahme nutzen wollen, unterwandern die Verwaltung. Das zu verhindern ist Klimaschutz.

Anmerkungen

/1/ Jonathan Franzen: „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können“. Ein Essay. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, Rowohlt Verlag, 60 Seiten, 8 €.

/2/ Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franzen-10_(6959095459).jpg; Lizensiert unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

3 Kommentare zu „Klimadebatte: eine neue agile Sichtweise aus den USA“

  1. Lieber Wolf,

    schön zu sehen, dass es doch noch Stimmen gibt, die eine Debatte auf einer dritten Ebene sehen wollen.
    Du kennst meine Meinung zum Thema Klima. Dass es angeblich eine einhellige Meinung zum Klima gibt, ist inzwischen schon als Fake Studie nachgewiesen worden. Es sind eben nicht 97% aller Wissenschaftler der Studie sondern nur ein Drittel der Meinung, dass der Mensch etwas bewirke:

    Von den rund 12.000 Veröffentlichungen bestätigte nur rund ein Drittel der Wissenschaftler, 32,6 Prozent, die Ansicht, dass die globale Erwärmung durch Menschen verursacht sei (Anthropogenic Global Warming -AGW), 97 Prozent dieses Drittels, nicht der Gesamtmenge, hielt “die jüngste Erwärmung vor allem von Menschen gemacht”. Die Mehrheit der Wissenschaftler, 66,4 Prozent, bezog keine Position zum AGW. Aber die Zahl 97 machte weltweit die Runde.
    (Quelle).

    Prof. Preuß hatte vor einiger Zeit festgestellt, dass es hier in Deutschland schon lange keine öffentliche Debatte über den Grund des Klimawandels gibt. Dass es ihn gibt, leugnet zudem Niemand. Gestern hatte er mir einen weiteren Text zur Verfügung gestellt, in dem er einen einfachen Beweis antritt, dass es eben keine Korrelation zwischen dem CO2 und der Temperatur gibt:
    Kein menschengemachter Klimawandel – keine Angst

    Da es aber nun den Klimawandel offensichtlich gibt, finde ich es gut, eine Debatte darüber zu führen, was genau Mensch tun kann, um sich den Problemen, die sich daraus ergeben, zu stellen. Nur sollte es nicht das CO2 sein, dass uns hier hysterisch werden lassen soll. Wäre es nicht fatal, aus falscher Erkenntnis, die falschen Maßnahmen zu ergreifen?

    Viele Grüße
    Martin

    p.s.: Wenn es den Eindruck geben sollte, dass es so viele Wissenschaftler gäbe, die den Menschen als Verursacher des aktuellen Klimatrend so sehen, so mögen wir uns daran erinnern, dass in den Statuten des IPCC steht, dass es seine Aufgabe ist, die Theorie des anthropogenen Klimawandels zu beweisen. Daher kommen jene Wissenschaftler, die das Gegenteil beweisen, nicht zu Wort, sprich es gibt im IPCC nicht wirklich eine offene Debatte.

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    1. @Dr. Martin Bartonitz: Wissenschaftlich verwertbare Aussagen können nur dann getroffen werden, wenn man sich explizit mit einer Fragestellung, bzw. einem Thema beschäftigt, von daher ist die Schlussfolgerung, nur knapp ein Drittel der Klimawissenschaftler hält ihn für menschengemacht, einfach amateurhaft. Die anderen zwei Drittel beschäftigen sich nicht explizit mit der Fragestellung, was aber weder heißt, dass sie den menschlichen Einfluss negieren oder sich enthalten. Hätten sie ihrer Meinung nach ganz oben auf ihren Titel schreiben sollen: „Im übrigen erkläre ich hiermit, dass ich den Klimwandel für menschengemacht (oder nicht) halte“. Es ist eben immer noch Wissenschaft, keine Wahl und keine Meinung, von demher erwarte ich auch keine irgendwie seriöse Aussage von Wissenschaftlern, die sich nicht explizit mit der Fragestellung „Ist der beobachtbare Klimawandel vom Menschen verursacht.“ beschäftigt haben.

      Genausogut hätte man sämtliche jemals erschienenen wissenschaftlichen Artikel untersuchen können, wäre dann bei der gleichen Anzahl an Artikeln gelandet, die sich mit der Frage „Ist der Klimwandel vom Menschen verursacht?“ beschäftigen, die Relation wäre dann aber natürlich weitaus kleiner. Hier wird nun besonders deutlich, wie absurd es wäre, dann zu sagen – nur etwa ein verschwindender Bruchteil der Wissenschaflter hält den Klimwandel für menschengemacht.

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      1. Ich stimme Ihnen zu, dass die Studie sich besser mit allen Artikel rund um den Einfluss menschlicher Aktivitäten auf das Klima hätte beschäftigen sollen. Ich stimme Ihnen aber nicht zu, dass das Verhältnis das gleich geworden wäre, denn das ist keine wissentschatliche Aussage sondern eine Glaskugelschauen. Ich habe inzwischen sehr viele wissenschaftliche Artikel gelesen, die das Gegenteil darstellen. Diese Artikel finden aktuell nicht den Weg in eine öffentliche Debatte, da sie wie von Prof. Preuß dargestellt, gar nicht stattfindet.
        Außerdem ist es unwichtig, wie viele Wissenschaftler etwas meinen. In der Wissenschaft geht es nicht um Demokratie, sondern um Beweise. Und hier muss ich feststellen, dass sehr viele Beweise seitens des IPCC entweder gefälscht wurden, aber genauso unterschlagen werden. Und wer abseits vom IPCC recherchiert, der findet auch.

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