Wenn der Bierdeckel die Arbeit erleichtert…  

Von Essenz, Strategie und vom Fokushalten in der Praxis
Ein Beitrag von Veronika Levesque und Christine Gebler

Drei Menschen sitzen in der Gastwirtschaft am Stammtisch «Kein Bier vor Vier» und genießen den Feierabend. Abelia Abteilleit, die einen Bereich in einer Behörde leitet, Lennie Liest, interessierter Verwaltungsmensch und Blogleser des Forums Agile Verwaltung und Beate Berate, die Organisationsberaterin ist. Es herrscht hörbar gute Stimmung.

Abelia Abteilleit
Mensch Lennie, hör mal, ich muss dir was erzählen. Ich hab bei der Arbeit jetzt endlich auch einen Bierdeckel. Richtig toll. Einen selbst entwickelten!

Lennie Liest  
Ja, klar, wir sitzen hier in einer Kneipe!  

Abelia Abteilleit
Nein, so mein‘ ich das nicht – einen Bierdeckel mit unserer Vision und Ausrichtung für unsere Arbeit.  Ja, Du hast richtig gehört. Das Thema Bierdeckel hatten wir schon mal – erinnert ihr Euch?? Da wollte so´n Politiker die Steuererklärung total einfach machen; hat leider nicht geklappt. Aber wir haben´s geschafft. Wir haben eine strategische Ausrichtung entwickelt, die auf einen „Bierdeckel“ passt. 

Lennie Liest  
Was? Steuererklärung? Du arbeitest doch gar nicht für’s Finanzamt. Gott sei Dank! *lacht* 
Davon abgesehen: Das geht? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie sieht denn sowas aus?  

Abelia Abteilleit
Naja, schaut hier, ein Bierdeckel… Nur ist bei uns natürlich kein Brauereilogo drauf, sondern eine Grafik: Auf der einen Seite ist unsere Ausrichtung zu sehen, nämlich: Was ist unser Fundament, unser Auftrag? Wer sind unsere Auftraggeber? Woher kommen unsere Aufträge? Und: Wer sind unsere Kunden? Für wen machen wir das? Das Ganze ist so einfach gemacht, dass es auf einen Bierdeckel passen würde. 

Lennie Liest  
Genial. Und was steht auf der Rückseite? 

Abelia Abteilleit
Auf der Rückseite sehen wir, wie wir unsere jährlichen Schwerpunktthemen verfolgen: Mit den Führungskräften in unserer Organisation in Kontakt sein und Nutzermeinungen einholen, dann die Rückmeldungen zusammenfassen und auswerten. Anschließend schauen wir, welchen Handlungsbedarf es gibt. Und im nächsten Schritt entwickeln wir ein Programm zu dem priorisierten Thema. Mit diesem gehen wir in die Feedbackschleife mit unseren Führungskräften. Dann passen wir das Programm entsprechend an und rollen es aus.  

Beate Berate 
Das Team muss den Auftrag und die Aufgaben zutiefst verstanden haben, damit es diesen so total knapp und zielgerichtet formulieren kann. Dann passt das auch auf einen Bierdeckel. Ganz schön harte Arbeit, aber am Schluss kann jede und jeder in dem Bereich sogar noch nach dem zweiten Bier erklären, was das Team macht. Und warum es den Bereich gibt, was die Schwerpunkte sind – und was nicht.  

Grafik: Veronika Levesque

Lennie Liest 
Ah, verstehe. Und was bringt Euch das? 

Abelia Abteilleit
Naja, wir haben bei der Entwicklung des Bierdeckels mit Beate gemerkt, dass wir unterschiedliche Sichtweisen auf unsere Aufgaben hatten, nämlich je nach Rolle eher strategisch oder eher operativ. Mit unserer Ausrichtung haben wir nun eine gemeinsame Perspektive. Bei uns kommen öfter Anfragen an, die alle für sich nachvollziehbar sind. Jetzt haben wir es leichter, wenn wir entscheiden müssen, ob Themen zu unserem Auftrag zählen oder nicht und was Priorität hat. Und so können wir unsere Kräfte und Kapazitäten bündeln und gezielter einsetzen.  

Lennie Liest  
Total spannend. Sag mal, könntest Du auf meinem Bierdeckel hier ne Skizze machen?

schiebt einen Bierdeckel über den Tisch, und während Beate sich einschaltet, zeichnet Abelia den Bierdeckel des Bierdeckels…  

Beispiel für einen strategischen Bierdeckel

Bild von BRRT auf Pixabay, verändert durch Grafik von Christine Gebler und Veronika Levesque

Beate Berate 
Spitze! Ein Bierdeckel vom Bierdeckel! Jetzt bin ich mal gespannt.  Das ist jetzt so richtig passend – eine echte Kneipe, ein echter Bierdeckel. Wenn sie das hinkriegt und du es verstehst, schmeiß´ ich eine Runde…! 

Beate Berate 
Soll ich Euch erzählen, wie der Bierdeckel funktioniert? Alles muss auf den ‚Fundamentalen Auftrag‘ einzahlen. Dabei haben wir diskutiert: Was alles gehört zum Auftrag, und was nicht? Also was heißt das strategisch und wie lesen wir das operativ gedacht? 
Im nächsten Schritt: Wie beschreiben wir den Weg vom strategischen Rahmen (außen) zum operativen Handeln (innen) und was müssen wir dabei berücksichtigen?

Lennie Liest  
Klingt irgendwie kompliziert.

Abelia Abteilleit
Was das für uns bedeutet, erklär ich gleich im Anschluss, es ist eigentlich einfach.

Beate Berate 
Der untere Rand des Bierdeckels zeigt das Fundament als Orientierungsrahmen und Kernauftrag, quasi die „Existenzberechtigung“. Links finden sich strategische und mittelfristige Vorgaben und Ziele. Als Dach sind oben „die Rolle des Bereichs, die Aufgaben und die Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer“ zu sehen. Rechts prangt das Handlungsfeld „die Praxis ermöglichen“, nämlich die Produkte, die der Bereich den anderen Bereichen der Organisation bzw. dem Markt zur Verfügung stellt. Bei der Beschreibung ist wichtig, konsequent Verben zu benutzen, um präzise zu sein. Also zum Beispiel „Kompetenzerwerb steuern“ anstatt Kompetenzerwerb. Mit der Entwicklung des Bierdeckels entsteht auch das Committment des Teams, welche Schwerpunkte insgesamt aktiv gesetzt werden.

Abelia Abteilleit
Also jetzt zur Praxis, dann wird es verständlicher. Dabei lassen wir mal ein Beispiel durch den Bierdeckel laufen – wie durch einen Filter:  
Eine Führungskraft fragt an, ob wir einen Recruiting-Prozess für sie ausrichten würden, um eine spezialisierte Fachkraft für eine bestimmte Stelle zu finden. Unter Anwendung des Bierdeckels kommen wir zur Entscheidung, dass das Recruiting an sich nicht zu unserem Auftrag, dem Fundament passt. Deshalb würden wir anderweitig im HR-Bereich klären, wer die Anfrage übernimmt.  
Wenn es aber darum ginge, den Prozess des Recruitings zu optimieren, dann wären wir möglicherweise miteinander im Geschäft. Dann könnten wir gemeinsam daran arbeiten, die Kompetenzen, an den eigenen Prozessen zu arbeiten, on the job zu fördern – wir würden also den Kompetenzerwerb steuern. Sollte das Thema aber öfter bei uns aufschlagen oder plötzlich bei ganz unterschiedlichen Bereichen auftauchen, würden wir überlegen, ob es darum geht, aus Sicht der Personalentwicklung ein Angebot bereit zu stellen (das Dach des Bierdeckels, nämlich neue Themen eruieren). Es könnte ja sein, dass sich in der Organisation etwas verändert hat, was einen – möglicherweise sogar strategischen – Bedarf auslöst.

Lennie Liest  
schaut sich die Skizze an und denkt kurz nach … 
Das heißt, wenn jemand kommt und sagt, ihr sollt eine exklusive Veranstaltung für die Führungskräfte einer Abteilung auf die Beine stellen… ?  

Grafik: Veronika Levesque

Abelia Abteilleit
…Wir könnten natürlich einfach schauen, ob wir zuständig sind oder nicht. Aber dann kommen ja nie neue Themen in die Welt. Daher schauen wir, ob neue Themen durch eine von unseren auftraglichen oder generellen inhaltlichen Einflugschneisen, d.h. Seitensäulen auf dem Bierdeckel, passen. Wenn nicht, ist es schon mal nicht prioritär. Und es ist nicht automatisch oder routinemäßig unsere Aufgabe.  
Und dann können wir noch überlegen, ob es indirekt eines unser zentralen Schwerpunktthemen bedient. Das könnte dann sein, wenn wir zum Beispiel damit einen Bereich erreichen, der bis jetzt nichts mit uns zu tun haben wollte oder weil das Thema der Veranstaltung auf eines unserer Entwicklungsfelder einzahlt. Dann können wir gezielt abwägen, ob es anstatt über die Kernaufgaben über die Schwerpunktthemenschiene anfällt. Und falls die Anfrage gar nicht zu unserer Strategie passt, können wir das mit dem Bierdeckel ziemlich einfach, nachvollziehbar und fundiert entscheiden. Der Bierdeckel hilft uns, jederzeit auf Kurs zu bleiben.

Lennie Liest  
Klasse! Darf ich den mitnehmen? Den führe ich bei uns auch ein!

Beate Berate 
So ein Bierdeckel ist maßgeschneidert und sehr individuell. Nicht jeder Bierdeckel funktioniert mit „innen“ und „aussen“ und Kreisform. Jeder hat eine eigene Story in sich. Wir waren zwei Tage für diesen intensiv dran. Der Bierdeckel soll ja nicht einfach die Aufgaben reduzieren. Das ist die härteste Arbeit und die Kunst dabei:  
So auf die Essenz zu komprimieren, dass es nicht weniger, sondern für alle am Schluss mehr Sinn macht.  Die Struktur des Bierdeckels ist von Bereich zu Bereich total unterschiedlich und muss aus der Diskussion entstehen. Ein fremder Bierdeckel hilft also nix, weil er ja auch nicht euren inhärenten Auftrag, eure gesetzten Schwerpunkte und eure fokussierten Absichten drin hat. Und nicht euer Bild von der Zukunft. Und genau das alles braucht es aber, damit er Richtung gibt.

Abelia Abteilleit hat den Bierdeckel fertig gezeichnet und Lennie Liest nickt…

Beate ruft den Kellner: Noch drei Gläser und eine grosse FAVesperplatte bitte!

Lennie Liest : Sehr cool, dieser Stammtisch… 😊

Und hier noch die Vorlage für den eigenen Bierdeckel – zum Selbermachen.

Bild von BRRT auf Pixabay

Autor: Christine Gebler

Veränderungen, die bewegen.

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