Aus dem Tagebuch des Digitalisierungsbürokraten – OZG

03.11.2022

Mein Neffe kam am Sonntag zum Kaffee – der Student, hat einen funktionierenden Drucker gebraucht. Er hätte sich darauf gefreut BaföG digital erledigen zu können/Anmerkung [1]/, meinte er, als er sich darüber aufregte, dass er den Antrag unterschreiben musste. Er studiert und hat keinen Sinn für ordentliche Verwaltung: natürlich ist eine Unterschrift nötig, er will ja auch schließlich Geld bekommen.

Über dies sind wir zum Thema OZG gekommen. Er wusste gar nicht, was das ist. Dabei hatte er dem Onlinezugangsgesetz /Anmerkung [2]/ (wofür die Abkürzung OZG steht) zu verdanken, dass BaföG auf elektronischem Weg beantragt werden konnte. Während der Kaffee durchlief und der Drucker den Antrag ausdruckte, hatte er im Smartphone nachgesehen und war ganz verwundert: Das Gesetz sei verständlich, nicht so lang und das Ziel des Gesetzes sei klar. Sonst wären die Gesetze nicht so einleuchtend. BaföG-Antrag wäre danach völlig falsch umgesetzt worden.

„Was kann den falsch umgesetzt sein, wenn du es doch, gleich einscannst und hochlädst? Ist doch alles elektronisch“, erwiderte ich.

Es würden Formulare, die früher auf Papier gingen, jetzt als ‚Upload‘ im Amt eingehen. Elektrische Abbildung der Papiere für Vorgänge, die genauso weiterlaufen, mit dem Unterschied, dass die Eingaben nicht im Posteingangskorb sondern im elektrischen Eingangskorb landen, seien nicht wirklich elektronisch.

Er kannte das Agile nicht. Ich kannte es auch nicht als ich zum Digitalisierungsbeauftragten in unserer Behörde ernannt worden war. Weil ich mich so gut mit der Verwaltung auskenne, hieß es, man bräuchte jemanden, der einen guten Überblick hat. Ich wollte es eigentlich nicht machen, aber stimmt schon, bevor jemand auf Ideen kommt, die mit der Verwaltung ganz und gar unvereinbar sind, ist das Thema auf meinem Schreibtisch am besten aufgehoben.

Dann gab es Diskussionen über Diskussionen mit dem Kollegen Kramer: Agil müsse man sein, habe er gelesen. Das sei das Beste. Was denn agil heißen würde, hatte ich gefragt. „Dass man einen Schritt nach dem anderen plant und macht und nicht erst alles plant und dann alles macht.“ – hatte er mir erklärt. Wie kann man ungeplant einen Verwaltungsakt starten? Aber Kramer hatte sich bei der Chefin durchgesetzt. Am Ende hat es sich als eine gute Idee herausgestellt.

Wir haben das meist genutzte Formular als PDF abgebildet, sogar im PC kann man das ausfüllen und dann ausdrucken, unterschreiben und hochladen. Der agile Ansatz hatte wirklich super funktioniert. Als das PDF fertig war, konnte man es noch nicht hochladen, also hatten wir einen Briefkasten eingerichtet – „Für Onlineformulare“ – an der Stelle lachte mein Neffe wieder. Es ist nicht zum Lachen – Probleme einfach direkt lösen, das ist unser neues Motto. Da konnten die Bürger die ausgefüllten Formulare ausdrucken und unterschrieben bei uns einwerfen. Irgendwann war auch die IT so weit, dass die Formulare online eingereicht werden konnten, dann mussten die Bürger noch nicht mal zum Briefkasten. Sie konnten die Scans der unterschriebenen Formulare online einreichen.

Es sei nicht im Sinne des OZG, meinte eine Kollegin, als wir unsere Umsetzung präsentierten. Dabei steht im Gesetz ganz klar drin, „Verwaltungsleistungen elektronisch anbieten“.

Es sei Quatsch das so zu machen, man müsse gleich den ganzen Verwaltungsvorgang durchgehend elektronisch machen, argumentierte Kramer, der auf die Kollegin stand. Der Kramer, der erst auf „agil“ bestand, wollte jetzt auf einmal den ganzen Vorgang planen und erst dann umsetzen. Der weiß auch nicht was er will… Fast hätte meine Chefin wieder auf Kramer hören wollen, ich hatte zum Glück gerade den Artikel über den Preis für den Universalprozess /Anmerkung 3/ in „The Länd“ gelesen. Dann war klar: unser „agil“ war richtig und wir brauchten nur die Formulare elektronisch anzunehmen.

„Aber bringt es nicht mehr, wenn gleich der ganze Vorgang elektronisch durchläuft? Ich glaube das hatte der Gesetzgeber im Sinn“ – hakte mein Neffe nach meiner Erzählung ein.

„Wir erfüllen die Vorgabe des Gesetzgebers, der Bürger kann elektronisch alles einreichen und Bescheid kann auch per Mail kommen.“

„Schönes ‚elektronisch‘…dazu brauche ich einen Drucker und einen Scanner um das ‚elektronisch‘ zu machen“ – grummelte der Neffe.

Er schaute sich nochmal das OZG im Wortlaut nach, ums sich für die Diskussio zu rüsten – er diskutiert gern. Auf einmal lächelte er und las laut vor:

„§1 Absatz 1 Bund und Länder sind verpflichtet, bis spätestens zum Ablauf des fünften auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalenderjahres ihre Verwaltungsleistungen … und so weiter – es ist ein Fünfjahresplan!“ Auf einmal konnte er sich vor Lachen nicht halten.

Als ich ihn fragte, wieso er lache. Erzählte er mir, in der Sofwjetunion hätte es Fünfjahrespläne gegeben mit ungenauen Vorgaben – eine Werk für Tischlampen hatte seinen Fünfjahresplan zum Beispiel in Tonnen des Produkts vorgegeben. Man hätte darauf das Gewicht der Lampen erhöht um nicht so schnell arbeiten zu müssen und trotzdem den Plan zu erfüllen. Was daran so lustig war und was es mit unserem Gespräch zu tun hatte, hatte er mir nicht erklärt. So ist es wenn einer Philosophie und Geschichte studiert… wäre er mein Sohn, hätte er was gescheites gelernt.

10.11.2022

Mein Neffe war wieder zum Kaffee da, meinte, er hätte sich das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen. Es ergebe schon Sinn, Schritt für Schritt Abläufe zu ändern, wenn man sie bis zum Ende digitalisiere und nicht mittendrin stehen bleiben würde, weil man die formalen Anforderungen minimal erfülle. Das gehe gar nicht, wir haben überhaupt nicht die Zeit dafür, wollte ich ihm erkläeren, aber da kam meine Frau und hat unsere Diskussion unterbunden. Vielleicht reden wir ein anderes Mal darüber.

Anmerkungen

[1] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/pressemitteilungen/de/2021/09/210921-BAfoeG-Digital.html

[2] https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/grundlagen/info-ozg/info-ozg-wortlaut/ozg-im-wortlaut-node.html

[3] https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/spitzenplatzierungen-fuer-baden-wuerttemberg-1/

Autor: Chellinchen

[ʃɛlɪnçən] Diplom-Wirtschaftsinformatikerin, arbeitet Chellinchen im Hauptberuf daran Verwaltungsabläufe digitaler zu machen. Zurzeit setzt sie außerdem ihre Ideen und Gedanken jenseits des aktuellen Berufsalltags in spannende Welten für Leserinnen und Leser um. Ein Teil der Texte sind auf ihrer eigenen Homepage veröffentlicht: https://www.chellinchen.de/

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