Agile Arbeitsformen im nicht-agilen Umfeld

 

Von Hürden und Chancen

Die Umkooperativstellung eines Betriebs oder einer Verwaltung von einer klassischen Aufbauorganisation zu einer agilen Matrix ist ein riesiges Unterfangen. Schon die schlichte Grösse der Aufgabe wirkt oft auf Entscheiderinnen und Entscheider und auch auf Mitarbeitende abschreckend – zumal häufig nur einzelne Beteiligte eine praktische Vorstellung davon haben, was ‚agile Organisation‘ denn in Tat und Wahrheit bedeutet. Oft ist es gerade in der öffentlichen Verwaltung aus rechtlichen und politischen Gründen – zumindest gefühlt – gar nicht möglich.

Können wir mit dieser Hürde konstruktiv umgehen und uns nicht abschrecken lassen?

Die Idee ist zu erproben, wie agile Arbeitsformen in der nicht-agilen Organisation eingebettet werden könnten. So wird Agilität erlebbar und Erfahrungen können live und in Farbe gemacht werden.

Wie kann das aussehen? ‚Agil‘ ist ja mehr ein Handlungsrahmen denn eine Methode. Es gibt viele Möglichkeiten agil zu arbeiten. Und auch, den Strukturen und der Einordnung des Betriebes dabei treu zu bleiben.

Erfundene Praxis – Beispiel 1: Die „Interessengemeinschaft Qualität

Immer wieder hat die Leitung sich bemüht, das Thema Qualität einem Bereich hierarchisch anzugliedern oder aber Projekte zu lancieren, die die Qualitätsaufgaben klar be- und festschreiben sollten.

Da sind zahlreiche Fach- und Führungskräfte und auch Stäbe, die in ihrem Führungsbereich Pflichten und Ziele haben, die Qualitätsaufgaben betreffen. Es ist ein Thema, das  durchaus allen schon auch irgendwie echt wichtig ist. Gleichzeitig ist es schwer zu fassen und wenn man den Faden ‚Qualität ‚ aufnimmt, führt er tief in die Prozesse und auch in die historisch gewachsenen Anliegen des Verwaltungsbetriebs.

„Schwer absehbar, was genau soll Qualitätsarbeit können, das ist verhängt mit diversen anderen Themenbereichen, es gibt gar unterschiedliche Interessen in den verschiedenen Verwaltungsebenen, ist gefühlt unplanbar, eventuell eine grosse Kiste, wohin überall führt das…“

Projektleitende zu finden war nahezu unmöglich. Die Verpuffungseffekte nach jedem neuen Kick-off waren hoch, der Begriff ‚Qualität‘ fing an zum Stigma zu werden. Was tun?

Gruppe Runde

Die sogenannte IG Qualität besteht aus einer koordinierenden Moderation sowie den relevanten Fach- und Führungskadern aus den Dienststellen und Stäben – 18 Personen. Alle sind für ihre unterschiedlichen Bereiche in Qualitätsfragen entscheidungsbefugt (Dienststellen) oder fachweisungsbefugt (Stäbe) und sind im Rahmen ihrer Regelaufgaben verantwortlich für die Umsetzung ihrer Entscheidungen und die Erfüllung von Qualitätspflichten ihrer Organisationseinheiten.

Gemeinsam eruierte und formulierte die Interessengemeinschaft zu Beginn fünf Wirkungsfelder im Rahmen der Qualitätsarbeit, die entweder strategische Grundlagenfragen betreffen, besonders starke Hebelwirkung vermuten lassen oder von hoher Dringlichkeit sind. Allein dieser erste Schritt führte einerseits zu erstmaligen bereichsübergreifenden gemeinsamen Standpunkten und andererseits zu formulierten Unterschieden. Das Arbeitsfeld ‚Qualität‘ wurde sichtbar.

Jedes Wirkungsfeld bekam eine koordinierende Co-Leitung innerhalb der Interessengemeinschaft mit je einer Fachperson aus einer Dienststelle und einem Stab. In den monatlichen Sitzungen werden nun die Arbeiten der verschiedenen Wirkungsfelder vorgestellt, inhaltlich aufeinander abgestimmt und organisatorisch miteinander koordiniert. Gearbeitet wird zwischen den Koordinationssitzungen innerhalb der herkömmlichen Strukturen, Gefässen, Zuständigkeiten und Kompetenzen.

Durch die Co-Leitung der Wirkungsbereiche und die moderierte Plattform der Interessengemeinschaft als koordinierende Taktgeberin entstehen besonders deutlich zwei Effekte: erste Anzeichen einer multiprofessionellen Zusammenarbeit innerhalb der bestehenden Amtsstrukturen stellten sich fast von selbst ein. Gleichzeitig entwickelt sich nach und nach eine gemeinsame multiperspektivische Sicht auf die Arbeitspakete und das Endprodukt:
ein praktikables abgestütztes Vorgehen in der Qualitätsentwicklung und ihrer Umsetzung in den Ämtern.

Die Rückmeldungen sprechen von Fortschritten:Prozesswirkung

„Das immer wieder gemeinsame Takten ist echt sinnvoller und praktikabler als Projektpläne.“

„In der Koordinationsitzung sehe ich, wie das gemeinsame Konstrukt wächst, immer wieder angepasst wird – und ich kann dann jeweils sofort damit arbeiten.“

Der Begriff ‚agil‘ ist nie gefallen.

Weitere Beispiele folgen….

 

 

Autor: Veronika Lévesque

Veronika Lévesque ist beim Institut für Arbeitsforschung und Organistionberatung iafob in Zürich (CH) Organisationsentwicklerin. Und Projektmensch mit einer Vorliebe für Fragen, für die es noch keine fertige Antwort gibt. Begeisterte Grenzgängerin: Unterwegs in 4 Ländern, 3 Sprachen und am liebsten in den Zwischenräumen zwischen Disziplinen. Schwerpunkte: Nutzbarmachung von Übergängen und Transformationshebammerei, Organisations- und Entwicklungshandwerk (Manufaktur, nicht von der Stange), Agile Spielfelder in nicht-agilen Umwelten, Methodenentwicklung, Umgang mit Nicht-Planbarem, Bildungssysteme vs. nicht-formale Bildungswege und 'Fehler machen schlauer.’

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