Agile Verwaltung: Frauen übernehmen die Führung

Am letzten Dienstag 2. März 2021 fand das „1. Barcamp New Work in der Verwaltung 2023/2033“ statt. Das Camp war in mehrerer Hinsicht bemerkenswert und hat einige Highlights hervorgebracht. Davon möchte ich heute eines vorstellen.

Höhere Akzeptanz des Barcamp-Formats

Wir waren zu viert in der Vorbereitungsgruppe für das Barcamp: Christiane Falk, Heike und ich. 50 % weiblich, 50 % männlich. Man könnte Quotierung vermuten.

Als wir Ende letzten Jahres begannen, das Barcamp zu planen, waren wir uns unsicher, ob dieses Format angenommen würde. Bei einem Barcamp stehen ja die Inhalte nicht von vornherein fest. Bevor es losgeht, gibt es nur eine leere Tagesordnung. Für Verwaltungsmitarbeiter:innen eher eine kulturelle Herausforderung, vermuteten wir. Würden sich genügend Interessent:innen darauf einlassen? Und würden sie ihre Teilnahme an so etwas Undefiniertem genehmigt bekommen?

Wir begrenzten die Teilnehmerzahl auf 50, davon waren 30 Plätze für Teilnehmer:innen aus der Verwaltung vorgesehen (dazu kamen Vertreter aus Zivilgesellschaft und Software- und anderen Unternehmen). Wir waren sehr gespannt, ob wir diese Zahl zusammen bekommen würden.

Aber unsere Befürchtungen erwiesen sich als völlig unbegründet. Die 30 Plätze waren nach einer guten Woche ausgebucht. Und als wir uns entschieden, das Angebot noch einmal zu erweitern, waren die Zusatzplätze auch gleich weg. Am Ende waren wir 79.

Und es war eine etwas andere Zusammensetzung als auf unseren bisherigen Konferenzen. Der Frauenanteil war besonders hoch. Von den 79 Teilnehmerinnen waren 53 weiblich, ein Anteil von 67 %. Damit ist er gegenüber letzten Frühjahrskonferenz in Ettlingen (57%) noch einmal deutlich gestiegen. Und er könnte mittlerweile sogar über dem Frauenanteil in den öffentlichen Verwaltungen liegen /Anmerkung 1/.

Es scheint also so, als ob dieses ungewohnte Barcamp-Format von Frauen besser akzeptiert werden kann als von Männern. Das zeigte sich im übrigen auch bei den Ergebnissen. Ein wichtiges Resultat – auch das ein Barcamp-Highlight – bestand in dem Slogan „Make the Tretboot Great again!“ Der Slogan spielt an auf das verbreitete Bild von agilen Schnellbooten, die wendiger seien als der alte große Verwaltungstanker. Und gegen dieses Bild von lauten, wellenschlagenden Rennmaschinen setzt der Slogan eine gelassene, hedonistische Zukunftsvision. Auch hier waren die weiblichen Stimmen deutlich hörbar.

Wenn also das Barcamp im Kleinen eine Trendaussage über die agile Bewegung im Öffentlichen Dienst – die seit ein, zwei Jahren so richtig Schwung aufnimmt – im Großen zulässt, dann haben Frauen sich in dieser Bewegung mittlerweile an die Spitze gesetzt.

Der Vorsprung mehrheitlich weiblicher Teams

Vor einigen Jahren veröffentlichten amerikanische Forscher eine Untersuchung zur Frage, welche Faktoren Teams produktiver in Wissensprozessen (Finden von Lösungen) machen als andere /Anmerkung 2/. Danach machen Teams dann einen Produktivitätssprung, wenn Frauen in ihnen die Mehrheit stellen. In einem „durchschnittlichen“ Scrum-Team von sieben Mitgliedern reicht es demnach nicht aus, wenn dort ein oder zwei Quotenfrauen vertreten sind. Sondern damit die Produktivität deutlich steigt, müssen es mindestens vier Frauen sein. Diese Teams zeichneten sich durch zwei Merkmale aus:

  1. Ihre Mitglieder trugen gleichmäßiger zu den Gruppenergebnissen bei. Es kam seltener vor, dass ein oder zwei Teammitglieder die Diskussion dominierten.
  2. Ihre Mitglieder schnitten besser ab bei einem „Reading The Eye“-Test. D.h. sie konnten komplexe emotionale Zustände der anderen Beteiligten besser „von den Augen ablesen“.

Diese Forschungsergebnisse lassen Bestrebungen, die Diskriminierung von Frauen in den gängigen Organisationen zu beseitigen, indem man minimale Quotenregelungen einführt, für relativ wirkungslos erscheinen.

Frauenbeteiligung und hierarchische Formen der Zusammenarbeit: der große Bogen der Geschichte

Quotierung ist überhaupt eine Vorstellung, die die bestehenden hierarchischen Organisationformen – in einzelnen Teams wie auch in der Verwaltung insgesamt – nicht in Frage stellt. Es geht lediglich darum, wer die zur Verfügung stehenden Stellen auch auf Führungspositionen besetzt. Die Rolle, die diese „Stellen“ in der Verwaltung spielen, bleibt weitgehend akzeptiert. Aber gerade, wenn sich unsere Verwaltungen auf den Weg zu „New Work“ im wirklichen Sinne machen wollen, werden wir nicht darum herumkommen, auch hier die Frage zu stellen: Was bedeutet „Führung“ auf diesem Weg? Wie könnte sie sich organisieren? Und das Barcamp lieferte dafür erste Anhaltspunkte.

Führung wird traditionell als mit einer „Stelle“ in einem hierarchischen Gefüge gedacht. Eine Schwarmintelligenz kann demnach nicht führen. (Bildquelle: Gerd Altmann auf pixabay.com)


Werfen wir einen Blick zurück auf die historischen Wurzeln unserer hierarchischen Organisationen. In Europa basieren sie letztendlich alle auf dem pyramidalen Aufbau des römischen Heeres, vom Feldherrn an der Spitze bis hinunter zum Fußsoldaten, zum Legionär. Diese extrem formalisierte, auf „Stellen“ fixierte Ordnung wurde in der Folge von der katholischen Kirche übernommen und auf ihre Ziele hin adaptiert. Auf diese Weise wirkte diese auf hierarchischen Männerbünden beruhende Organisationsform über das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein fort, lange nach dem Untergang seines römischen Ahnen.


Auch in der Kirche wurzelte die hierarchische Ordnung im Patriarchat. In seinem ersten Brief an die Korinther, der die Wurzeln für die christliche Gemeindeordnung definierte, postulierte Paulus von Tarsus die Dominanz des Männlichen in der Gemeinschaft des christlichen Kreises. „Mulieres taceant in ecclesia“, „die Frauen sollen in der Gemeinde schweigen“, forderte Paulus /Anmerkung 3/.


Die deutsche, auf das Grundsätzliche ausgerichtete Aufklärung verband die Kritik an Hierarchie in Gesellschaft und Institutionen folgerichtig von vornherein mit einer Kritik am Patriarchat. Gotthold Ephraim Lessing, Feminist in seinem 18. Jahrhundert, lässt Emilia Galotti, mit der Vergewaltigungsdrohung des Herzogs konfrontiert, die Schlussfolgerung ziehen: „Ich will doch sehn, wer mich hält, – wer mich zwingt, – wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen kann.“ /Anmerkung 4/ Emilia stellt nicht die Forderung auf, die Herzogenposten auf dieser Welt zu quotieren. Sie will die Positionen selbst abschaffen, die es Menschen erlauben, anderen ihren Willen aufzuzwingen.

Barcamp als Beispiel für New Work

Zurück zum Barcamp. Es hatte zum Thema die Entwicklung von Zukunftsvorstellungen für bessere, freiere Arbeitsformen. Aber es war selbst ein Beispiel für eine bessere, freiere Arbeitsform: die Eingangsreferate sollen – wenn überhaupt vorhanden – nur erste Impulse setzen und nicht viel Raum einnehmen. Schwerpunkt soll der freie Dialog der Beteiligten sein. Die Asymmetrie von Sessiongebern und Teilnehmenden wird so im Vergleich zu Konferenzen eingegrenzt. Es schafft also eine hierarchie-arme Zone, die ihrerseits einen Beitrag zur Eingrenzung von Geschlechterdiskriminierung leisten kann. Und sich durch seinen hohen Frauenanteil als besonders produktiv erweist.

Anmerkungen

/1/ Lt. Landesregierung Rheinland-Pfalz lag der Frauenanteil in der Landes- und Kommunalverwaltung in 2018 bei 55,4 Prozent. https://mffjiv.rlp.de/de/service/presse/detail/news/News/detail/frauenanteil-in-der-landes-und-kommunalverwaltung-sowie-den-parlamenten-steigt-weiter-an-minister/
/2/ Anita Woolley, Thomas W. Malone, Christopher Chabris: Why Some Teams Are Smarter Than Others, The New York Times Sunday Review, 16.01.2015
/3/ „Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sie sollen untertan sein, wie auch das Gesetz sagt.“ 1. Korinther 14, 34.
/4/ Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. 1772; 5. Aufzug, 7. Auftritt

Autor: Wolf Steinbrecher

Volkswirt und Informatiker. Zuerst als Anwendungsentwickler in Krankenhäusern und Systemhäusern tätig. Dann von 1995 bis 2008 Sachgebietsleiter für Organisation und Controlling in einem baden-württembergischen Landkreis (1.050 MA). Seitdem Berater für Teamarbeit und Dokumentenmanagement. Teilhaber der Common Sense Team GmbH Karlsruhe, www.commonsenseteam.de. Blogger bei www.teamworkblog.de.

Ein Gedanke zu „Agile Verwaltung: Frauen übernehmen die Führung“

  1. Ein Wort zu Führung.

    Wolf Steinbrecher: „Führung wird traditionell als mit einer „Stelle“ in einem hierarchischen Gefüge gedacht.“

    Nicht nur „gedacht“ – so wird tatsächlich in großem Maße gearbeitet.

    Führung bedarf einiger spezieller Eigenschaften, beispielsweise…

    ◾ Führen wollen und können
    ◾ Visionen haben
    ◾ Zweckmäßig entscheiden können
    ◾ Praktisch handeln wollen und können, wie:
    ◾ Organisieren wollen und können

    – Führen wollen… viele.
    – Visionen zu haben, glauben ebenfalls viele.
    – Aber spätestens jetzt… wird es dünn.

    Reduzierte Führung funktioniert dann, wenn sich mehr als eine beteiligte Person – bestenfalls alle, in nahezu gleichem Maße – für das Ganze verantwortlich fühlt. Trifft das tatsächlich zu (nicht nur als Wunsch) und jeder
    ◾ kennt,
    ◾ beherrscht,
    ◾ mag
    seine spezielle Aufgabe, ist es möglich: Die Ein-Personen-Führung ist natürlicherweise obsolet.

    Aber das dürften Sonderfälle in bestimmten Sparten sein. Kleine Bauernhöfe, beispielsweise.

    Keine Einzelführung? Das setzt an alle Beteiligten hohe
    Ansprüche, fortlaufend… über einen langen Zeitraum !

    Das Zauberwort ist hier… die erforderliche REIFE.

    Ohne sie fehlen Verantwortlichkeit und
    Ego-reduziertes Gemeinschafts-Denken.

    Ein Haken ist: Die Geistige Reife ist nicht gleichmäßig verteilt. Ein zweiter:

    Die Fähigkeiten und Fertigkeiten für das, was wir Arbeit nennen, sind lernbar
    und auch lehrbar. Eine Ausbildung in Sachen Reife dagegen ist nicht möglich.

    🌾

    Wolf Steinbrecher: „Eine Schwarmintelligenz kann demnach nicht führen.“

    Uns Menschen steht jede Menge an Intelligenz zur Verfügung, doch gibt es Ausdrucksformen der Intelligenz, die uns verschlossen bleiben. Das Schwärmen müssen wir den Vögeln und Fischen überlassen. Wir dürfen uns mit der aufkommenden Freude beim Anblick ihrer Schwärme begnügen.

    Im Schwarm braucht es keine Führung.

    Eine angenehme
    Arbeitswoche
    wünscht Nirmalo

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