Beitrag von Lila Sax dos Santos Gomes, Netsanet Berhane und Adamantia Goulandris
In der Kommune Planschbeckingen gibt es zu wenig Migrant*innen. Also nicht in der Kommune selbst, sondern in der Verwaltung. Sie ist zu homogen, zu weiß, zu christlich. Die Zivilgesellschaft fühlt sich unter- bis gar nicht repräsentiert. Daher entscheidet sich die Verwaltung dafür, sich zu “öffnen”. Sie will toleranter gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte werden. Sie will gendern, nicht-binäre Menschen einbinden und religiöse Vielfalt feiern. Es gibt nur eine Voraussetzung – eigentlich muss alles beim alten bleiben.
Aus unserer Arbeit mit Diversität und Inklusion im kommunalen Kontext kennen wir dieses Problem. Die Verwaltung soll bunter werden – muss, sogar. Nur weiß niemand, wo damit begonnen werden kann. Außerdem steht für viele das Ergebnis am Anfang schon fest: ein Leitbild, ein Prozess, ein bunter Aufkleber für die Schaufenster in der Innenstadt. Erst beim tieferen Eintauchen in das Thema gehen die Lichter an. Es muss sich etwas ändern, sogar ganz viel. Und diese Veränderung hat einen ungewissen Ausgang – niemand weiß am Ende, wie es die Stadt, die Strukturen und die Menschen beeinflussen wird. Es braucht tiefgreifende Veränderung, um konsequent und nachhaltig gegen Diskriminierung vorzugehen. Dabei ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen. Die Mitarbeiter*innen und Führungskräfte in den Kommunen müssen erkennen, dass ihr bisheriges Verhalten zur Aufrechterhaltung direkter und indirekter Ausgrenzung bestimmter Gruppen beigetragen hat.
Die Hauptveränderung muss also in der Verwaltung passieren. Und dass hier etwas passieren muss, ist klar: Aufgrund der demographischen Entwicklung ist eine Dienstleistungssicherheit durch die Kommune nicht mehr garantiert. Über 50% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden sich in den nächsten 10 Jahren in die Rente verabschieden. Neu gewonnene Mitarbeiter*innen verabschieden sich für andere, bunte Berufe und Aufgaben. Zusätzlich bekommt die Verwaltung langsam ein Legitimationsproblem, denn viele gesellschaftliche Gruppen sind gar nicht in den Meinungsbildungs-, Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen vertreten. Aber genau wie der Gemeinde Planschbeckingen geht es vielen anderen Gemeinden. Die Notwendigkeit für Change wird erkannt, aber wie?
In diesem Beitrag erläutern wir anhand einer fiktiven Kommune, wie die Themen interkulturelle Öffnung / D&I und Agilität Hand in Hand gehen und inwiefern die Herausforderungen für die Einführung von agilen Strukturen sich mit den Herausforderungen der Diversität decken.
Disclaimer
Wir sind alle externe Beraterinnen für Diversität und Inklusion in Kommunen. Gleichzeitig sind wir auch Frauen mit Migrationsgeschichte, die durchaus in diesen Strukturen Diskriminierung erfahren haben, entweder als Mitarbeiterin oder als Bürgerin. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Verwaltung eine Treiberin, ja sogar eine Turbine für Veränderung werden kann. Damit das tatsächlich funktioniert, muss noch viel Arbeit geleistet werden, sowohl an den Strukturen, als auch an den Einstellungen.
Das Problem
Die Welt hat sich verändert. Probleme und deren Lösungen sind komplexer geworden, unterschiedliche Perspektiven sind notwendig, um effizient zu arbeiten und zukunftsfähig zu bleiben. Außerdem verändern sich die Dinge schneller und eine gewisse Anpassungsfähigkeit ist notwendig. Damit die Verwaltung weiterhin gute Dienste für ihre Bürgerinnen und Bürger leisten kann, sind unterschiedliche Denk- und Sichtweisen wichtig. Die Lösungsebene ist vielschichtig: Die Vielfalt in der Verwaltung muss größer werden – also neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen angezogen und eingestellt werden. Die Beziehung zu den Bürgerinnen und Bürgern, vor allem denjenigen, die in der Verwaltung unterrepräsentiert sind, muss sich verbessern. Aber auch in der Verwaltung selbst muss ein Umdenken stattfinden, sodass Disruption als Möglichkeit zur Veränderung wahrgenommen wird. Es geht hier gar nicht wirklich darum, dass die Verwaltung “bunter” wird, sondern um den zentralen und professionellen Umgang mit Verschiedenheit. Denn der gesellschaftliche Mainstream ist schon lange nicht mehr so groß und die Einheitlichkeit der Bürger*innen ist es auch nicht.
Der Plan
“Diversity und Inclusion” in der Verwaltung ist ein komplexes Thema. Es ist schwer, Zahlen über die Zusammensetzungen von Verwaltungen zu machen. Während die Erhebungen von z.B. dem Grad einer Behinderung und Geschlecht von Verwaltungsmitarbeiter*innen inzwischen verbreitet sind, werden Daten über Herkunft, sexuelle Identität oder Religion kaum erhoben[1]. Das macht es schwer, Aussagen über die Heterogenität in Verwaltungen zu machen. Tatsache ist, dass die Zunahme an Leitbildern zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung sowie Erklärungen zur Inklusion und Toleranz von einer wachsenden Wahrnehmung dieser Themen zeugt. Außerdem unterschieden sich Städte und Kommunen untereinander und auch das prägt das Leitbild. Einige Städte haben ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement in einem bestimmten Bereich wie z.B. der Eingliederung von Geflüchteten. Andere haben eine lebendige alternative Kunst- und Kulturszene, die eine gewisse Anerkennung durch die Stadt anstrebt. Oder bestimmte Konflikte stehen im Brennpunkt, wenn zum Beispiel die Überwachung von öffentlichen Orten im Leitbildprozess mit aufgenommen wird. Zur Vorbereitung eines D&I Prozesses haben wir vier Leitbilder näher angeschaut und bestimmte Rahmenbedingungen herausgearbeitet, die einen solchen Prozess positiv beeinflussen können[2]:
1. Der Prozess muss ergebnisoffen sein.
Die Stadt Bonn zum Beispiel, schreibt: “(ein) Integrationskonzept ist kein vollständiges und abgeschlossenes Werk, sondern Teil eines kontinuierlichen Prozesses“
2. Die Zivilgesellschaft muss auf Augenhöhe beteiligt sein
Eine Möglichkeit ist es, die Federführung an eine externe Organisation zu geben, z.B. einer Themeninsel wie ‘Kulturelle Teilhabe’. Dabei ist ein Beteiligungsprozess anzustreben, der auch Kritik und Störungen genügend Raum gibt. Beispielhaft ist hier das Mannheimer ‘Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt’ unter Federführung des Kulturparkett Rhein-Neckar e.V. 2019.
3. Nachhaltig gesicherte finanzielle und personelle Rahmenbedingungen sorgen für einen sicheren und offenen Prozess
In Heidelberg wird der „Kommunaler Aktionsplan: Offen für Vielfalt und Chancengleichheit. Ansporn für alle” von einem verwaltungseigenen Amt für Chancengleichheit angeleitet und im zweijährigen Rhythmus evaluiert.
4. Der Prozess benötigt kontinuierliches Monitoring und Evaluation (M&E)
Die vier Pläne, die wir angeschaut haben, sind in unterschiedlichen Ausprägungen in M&E Prozesse eingebettet, allerdings wird nichts über Sanktionen oder konkrete Maßnahmen bei Nichterreichung von Zielen gesagt.
Der Konflikt
Während wir die Bestrebungen der Kommunen und Städte als einen wichtigen und zum Teil wirksamen Baustein auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien und rassismuskritischen Gesellschaft begrüßen, fehlt uns bei allen Plänen, Konzepten und Bildern das Zugeständnis, dass die Verwaltungsstrukturen selbst dazu beitragen, dass Diskriminierung und Rassismus alltäglich ist. Sei es als Arbeitgeber*in durch Bias im Einstellungsverfahren und bei Beförderungen, als Dienstleister*in durch unerträgliche Behördengänge und unzugängliche Unterlagen oder als Ordnungshüter*in durch Mikroaggressionen im ÖPNV, Gewalt durch Polizeibeamt*innen und Racial Profiling auf öffentlichen Veranstaltungen. Das Problem wird negiert und zugleich verstärkt durch die gleichen Strukturen, die behaupten, es abschaffen zu wollen.
Integration agiler Maßnahmen
Agilität steht für manövrierbar – beweglich und flink. Eigenschaften, die in der freien Wirtschaft durch Ökonomen und von großen Beratungshäusern als ‚Essentials‘ für eine reibungslos-funktionierende Marktwirtschaft erachtet werden.
Nur geht es in unserem Blog ‚Mehr Agilität im D&I Prozesse kommunaler Verwaltungen” nicht um Manövrierbarkeit, Schnelligkeit oder Wirtschaftlichkeit. Nicht um flinkere Anpassungen verschiedener Arbeitsprozesse oder besseren Ablagesystemen durch Digitalität.
Vielmehr geht es uns um das Zusammenleben in einer Gemeinde. Um eine gleichwertige Partizipation der Zivilgesellschaft in Fragen großer kommunaler Belange, aber auch um hierarchie-/ und amtsfreie Herangehensweisen an aktuelle Anforderungen.
Wenn wir beim Beispiel der Marktwirtschaft bleiben, sollte uns allen klar sein, dass in einer wirtschaftlich starken Marktwirtschaft nicht einzelne Aspekte und Einflüsse ignoriert werden, da Systeme, ganz gleich welcher Art, wie lebende Organismen sind. Alles beeinflusst alles und jeder Beteiligte ist unermesslich wichtig. Der ganze Globus steht seit der Industrialisierung 4.0 im Licht permanenten Wandels, wo über Nacht gut durchdachte Abläufe abermals überdacht und angepasst werden dürfen. Nach mehr äußeren Einflüsse brauchen wir also nicht suchen. Nur wie gehen wir damit um? Geht es tatsächlich um die Frage: “Wer ist verantwortlich?“ oder um die Frage: „Wann hört dieser ganze Anpassungsrummel endlich wieder auf?“ Fest steht, dass Verwaltung, Zivilgesellschaft und Politik mit allen Unterschieden irgendwie zusammenarbeiten müssen, weshalb sämtliche Schritte kommunaler Neuorientierung, bedingt durch demographische, geografische und politische Ereignisse, auf allen Verwaltungsstufen erfolgen sollten.
Das Fazit
Die Gemeinde Planschbeckingen hat eine große Aufgabe vor sich, wenn sie einen Prozess anstoßen möchte, der langfristig zu einem respektvollen und würdigen Umgang mit allen Menschen führen soll. Denn sie muss sich selbst als Teil des Problems sehen – und als Teil der Antwort. Und zwar auf allen Ebenen der Verwaltung. Diversität-/ und Inklusionsansprüche lassen sich nicht mehr nur noch im Kleinen behandeln! Die notwendigen Veränderungen betreffen uns alle – manche mehr als andere, aber sie betreffen uns alle. Und sie betreffen uns alle auf allen Ebenen und in allen Facetten unseres gesellschaftlichen Daseins.
Referenzen
Folgende vier Leitbilder haben wir näher untersucht:
Heidelberg (2017): „Kommunaler Aktionsplan: Offen für Vielfalt und Chancengleichheit. Ansporn für alle” aufrufbar unter https://www.heidelberg.de/hd/HD/Rathaus/aktionsplan-vielfalt.html#:~:text=Mit%20dem%20Projekt%20%22Offen%20f%C3%BCr,der%20Talente%2C%20die%20hier%20leben.
Freiburg (2021) „Aktionsplan für ein inklusives Freiburg“ aufrufbar unter https://www.freiburg.de/pb/883587.html
Bonn (2018) „Integrationskonzept der Bundesstadt Bonn“ aufrufbar unter https://www.bonn.de/vv/produkte/integrationskonzept-der-bundesstadt-bonn.php#:~:text=Das%20Integrationskonzept%20der%20Stadt%20Bonn,%2C%20f%C3%B6rdert%2C%20initiiert%20oder%20empfiehlt.
Mannheim (2019) „Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Kulturellen Teilhabe“ aufrufbar unter https://www.einander-manifest.de/files/Mannheimer%20B%C3%BCndnis%202021/Handlungsempfehlungen%20Kulturelle%20Teilhabe.pdf
Fußnoten
[1] Mehr zu fehlenden Daten In Der. Annette Icks et. al (2021): Der Schutz vor Diskriminierung und die Förderung personaler Vielfalt im Arbeitsleben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Abrufbar unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/Studie_Schutz_vor_Diskr_im_Arbeitsleben.pdf?__blob=publicationFile&v=2
[2] Die vier Leitbilder, die wir näher untersucht haben, haben wir im Abschnitt „Referenzen“ verlinkt.
Oh das ist aber ein schöner Beitrag. Und spannend zu lesen!
Wichtig finde ich euren Hinweis, dass man die zu überwindenden Verhältnisse im
Jetzt und ihre Ursachen klar benennen muss. Für die Zukunft alles versprechen (so ungenau und wolkig wie möglich), aber nicht sagen, was genau man eigentlich überwinden will, ist das beste Anzeichen, dass keine wirkliche Energie ins Vorhaben fließt. Ja, die Blume angesagter Modernität will ich mir schon ins Knopfloch stecken – aber der Anzug soll der alte bleiben!
Weiter so!
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Danke Wolf. Ich denke, dass es viel Mut braucht, um die Ursachen klar zu benennen, hoffen wir auf viele Mutige!
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