Woran merken wir, dass wir mit unserer Arbeit, mit einem Projekt stecken geblieben sind? Woran können wir feststellen, dass nur noch ein letzter Schlenker, ein Ziehweg, ein bisschen zusätzliche Mühe fehlt, um ins Ziel einzufahren? Oder umgekehrt, wann wir lieber ein glanzloses Ende einleiten sollten – und dabei vielleicht einiges aus der Konkursmasse retten, statt vergeblich auf das gute Ende, den sonnigen Erfolg zu hoffen? Was kann helfen, ein glanzloses Ende zu vermeiden und was ist, wenn wir merken, dass lange Geplantes noch gar nicht angefangen, der Beginn verschoben und verschoben wurde?
Dieses Thema von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten, ist das Anliegen unserer 8-teiligen Artikelserie. Im dritten Teil unserer Artikelserie machen wir eine kleinen Ausflug in den Zeitgeist. Es geht um
- Prokrastination versus …
- … Selbstoptimierung und Genügsamkeit und
- was das mit Verwaltungen zu tun hat.
Teil 3 – Prokrastination als Lifestyle versus Selbstoptimierung und Sparking Joy

„Also eigentlich wollte ich heute die Welt retten, aber es regnet.“ So beginnt Gabriele Kuhn ihren Artikel „Diagnose: Aufschieberitis“ im Österreichischen Kurier vom 27. Juli 2017.
Sie sagt, Menschen, die an „Aufschieberitis“ leiden, versuchen gerne mit ironischen Sprüchen wie „Ich brauche den Druck, dann bin ich besser“ über sich selbst zu spötteln. Sascha Lobo, deutscher Blogger und selbst Betroffener, hat sogar ein Buch geschrieben, in dem er Prokrastination als „Lifestyle of Bad Organisation – abgekürzt: LOBO“ (haha!) charakterisiert.
Prokrastination versus …
Es scheint, Prokrastination hat sich zu einem gesellschaftlich akzeptierten Lifestyle entwickelt. Und das, obwohl sie bei den Betroffenen einen hohen Leidensdruck erzeugen kann. Im Dunstkreis der Prokrastinierer tummeln sich gerne auch Prepper und Sammler, die entweder dezidiert Dinge ansammeln oder sich einfach nicht von ihnen trennen können – man könnte sie ja irgendwann noch brauchen. Auch hier gibt es eine krankhafte Seite, die bis zum Messie reicht.
… Selbstoptimierung und Genügsamkeit
Parallel dazu feiern zwei Lifestyles große Erfolge, die geradezu das Gegenkonzept zum Prokrastinieren und Sammeln zu sein scheinen.
Zum einen der Megatrend der Selbstoptimierung. Ob man nun aus seinem Körper beim Training das Letzte herausholt, jede Regung mit Fitness-Trackern überwacht, dutzende Methoden für effizientere Arbeit anwendet und sogar den Schlaf optimiert: Nicht ist vor diesem Trend sicher.
Parallel dazu setzt uns Meike Winnemuth in Erstaunen, wenn sie ein Jahr lang mit nur einem Kleid auskommt (ja, es ist ein Designkleid und streng genommen sind es drei Exemplaren des gleichen blauen Kleides und Meike Winnemuth kombiniert sie sehr geschickt mit unterschiedlichen Ergänzungen; trotzdem alle Achtung).
Gleichzeitig feiert die Aufräumspezialistin Mari Kondo mit ihren Büchern und jüngst mit ihrer Netflix-Serie große Erfolge. Sparking Joy ist ihre Maxime beim Ausmisten. Damit ist die Freude gemeint, materiellen Güter auf das Wesentliche zu beschränken, nämlich auf die Dinge, die eine innere Resonanz – eben Freude – in uns erzeugen. Diesen Zustand sollen wir laut Kondo nicht irgendwann, sondern ab sofort in kurzer Zeit erreichen.
Was hat das mit Verwaltungen zu tun?
Ist das von unserer Arbeitswelt weit entfernt? Statt einer Antwort: Es lohnt sich einmal einen Blick in die Schränke und Schubladencontainer der eigenen Abteilung zu werfen, alle Ordner der Dateiablage aufzuklappen, in die Registratur und das Altaktenarchiv zu gehen und nachzuschauen, was dort alles aufbewahrt wird. Oder in den nächsten Besprechungen oder Projektgruppensitzung genau zuhören, wenn über Erledigungstermine gesprochen wird. Na? Alles klar? Wäre es nicht schön, auch hier einmal mit Sparking Joy aufzuräumen?
In der Arbeitswelt gilt es zu unterscheiden. Ist es ein individuelles Verhalten oder betrifft es die Organisation? Die oben beschriebenen Trends betreffen Individuen. Interessanterweise lassen sich auch auf Ebene der Organisation Parallelen, gemeinsame Muster erkennen – auch wenn die Auslöser vielleicht andere sind. So kann prokrastinieren, ewig überlegen, vor-sich-her-schieben, bis man endlich mit der Aufgabe, dem Projekt beginnt, als Folge einer Bloß-keinen-Fehler-machen-Kultur gelesen werden. Unmäßiges Sammeln von Dokumenten hat möglicherweise etwas damit zu tun, dass eine große Verunsicherung darüber herrscht, was zur Dokumentation des Behördenhandelns nötig ist und was nicht. Mit der Folge, dass lieber alles aufbewahrt wird. Kein-Ende-finden bei Projekten kann das Ergebnis von übertriebenem Perfektionismus sein (hat auch etwas mit Fehlerkultur zu tun). Und überbordende Turnusbespechungen lassen sich darauf zurückführen, dass deren Sinnhaftigkeit nicht systematisch hinterfragt wird.
Wenn zutrifft, dass es gemeinsame Muster gibt, wäre die gute Botschaft, dass die Rezepte, die bei Individuen greifen, auf die Organisationsebene übertragen werden können.
Weiterlesen
- Prokrastination – Aufschieben kann krank machen
- Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
- Meike Winnemuth und das kleine blaue Kleid
- Minimalismus auf Weltreise – Große Erlebnisreise mit kleinem Koffer
Ausblick
Nach diesem kleinen Ausflug in den Zeitgeist wird sich der nächste Teil der Artikelserie damit beschäftigen, was man konkret tun kann, um Dinge zu Ende zu bringen.
Die Artikelserie
- Teil 1 – Stories und Erfahrungen
- Teil 2 – Es ist vorbei, bye, bye: Erkennen, wann etwas zu Ende ist
- Teil 3 – Ausflug in den Zeitgeist: Prokrastination als Lifestyle versus Selbstoptimierung und Sparking Joy
- Teil 4 – Konzepte und Instrumente, um Dinge zu Ende zu bringen
- Teil 5 – Fokus, Fokus, Fokus
- Teil 6 – Konto Lebenserfahrung
- Teil 7 – Dinge (endlich) beginnen
- Teil 8 – Aufräumen